Drachenland: Roman (German Edition)
seinen Laden zu verkaufen; das Geschäft hatte schon seinem Vater gehört und gewährte ihm ein gutes Auskommen.
Talend gab vor, diesen Konflikt nicht zu bemerken. Als ranghöchster Ältester hatte er die beiden Männer ausgewählt, unter dem Vorbehalt, dass die Bürger seiner Stadt seiner Wahl zustimmten, und er hatte das Gefühl, dass es eine gute Entscheidung war. Er war der Ansicht, dass Tenniels Betrachtung der Dinge, gerade weil er jung war, ein gutes Gegengewicht zu seiner eigenen bilde.
Mit einer für sein Alter überraschend kräftigen Stimme verlas Talend den Aufruf, den ihm ein Kurier gebracht hatte. Die Ältesten von Tamberly baten um eine Einberufung von Vertretern der Ältesten aller Städte Fandoras zu einer Ratsversammlung, um über die jüngsten Angriffe simbalesischer Windschiffe zu diskutieren und sich für Maßnahmen zu entscheiden.
Tenniel saß starr vor Erregung auf seinem Platz. Eine Ratsversammlung! Die letzte hatte stattgefunden, als er siebzehn war, damals, als der Fluss Wayen drei Städte unter Wasser gesetzt hatte. Wenn jetzt eine Versammlung erforderlich erschien, musste die Möglichkeit eines Krieges wirklich ernst sein.
Talend zwinkerte ihm zu, und Axel sagte: »Einer von uns muss daran teilnehmen.«
»Haltet ihr es denn für möglich, dass es Krieg gibt?«, fragte Tenniel und hörte mit Erleichterung, dass seine Stimme fest klang. Es hatte in Fandora noch nie Krieg gegeben, auch keinen Bürgerkrieg, seit es vor über zweihundert Jahren gegründet worden war. Kein anderes Land wollte je dieses Gebiet aus unfruchtbaren Hochsteppen, felsigen Hügeln und Sumpfland annektieren. Die Fandoraner selbst hatten bisher auch kein Verlangen, untereinander oder gegen andere Krieg zu führen; den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten war schwer genug. Die Vorstellung von Krieg erschien Tenniel zuerst unglaublich. Es fiel ihm sogar schwer, sich Fandora als ein Land vorzustellen, das überhaupt so vereinigt war, dass es daran denken konnte, einen Krieg zu führen.
»Das haben wir drei nicht zu entscheiden«, sagte Talend in Beantwortung seiner Frage. »Unsere Aufgabe ist es, zu bestimmen, wer von uns Borgen auf der Ratsversammlung vertritt. Ich bin alt und lahm – ich könnte nicht die Reise machen und dann noch in guter Verfassung sein. Darum muss die Wahl auf einen von euch beiden fallen.«
Tenniel sagte sofort: »Dann muss Axel gehen.« Dies war so offensichtlich, dass es kaum einer Bestätigung bedurfte. Axel war älter, darum erfahrener und besser geeignet für die Aufgabe. Es war im Interesse von Borgen, und Tenniel versuchte, sich einzureden, er sei zufrieden damit, obwohl er wusste, dass es nicht stimmte. Er wollte an dieser Versammlung teilnehmen, mitreden bei dieser Entscheidung, die vielleicht einer der wichtigsten Beschlüsse war, die jemals in Fandora gefällt wurden. Aber es ging um Borgen. Axel hatte nicht viel übrig für falsche Bescheidenheit und würde für sich selbst stimmen, und Talend war bestimmt damit einverstanden.
Doch zu Tenniels maßlosem Erstaunen sagte Axel kurz angebunden, wie es seine Art war: »Tenniel geht.«
Tenniel war überzeugt, er habe nicht richtig gehört. Er konnte Axel nur voller Verblüffung anstarren. Doch Talend nickte und sagte: »Ganz meine Meinung. Tenniel, du wirst Borgen auf der Ratsversammlung vertreten.«
»Ich? Aber …« Tenniel fand buchstäblich keine Worte; seine Kiefer bewegten sich auf und ab und hin und her wie eine Marionette an lockeren Fäden. Talend lachte in sich hinein, und sogar der mürrische alte Axel fühlte sich veranlasst, einen Mundwinkel zu einem Lächeln zu verziehen.
»Ja, du – Sandalenmacher«, sagte Talend. »Wir alle wissen, dass nur du es sein kannst. Du hast die Energie und die Hingabe, die die Ratsversammlung braucht. Es ist eine lange Reise und eine schwierige Aufgabe.« Seine Stimme wurde ernst. »Es werden genug Stimmen da sein, den weisen und ehrwürdigen Standpunkt zu vertreten. Es soll auch Jugend anwesend sein, da es immer die Jugend ist, die einen Krieg entscheidet.«
»Ja«, sagte Axel. »Deine Liebe zu Borgen ist allen bekannt und wird von keinem übertroffen. Du wirst uns nicht schlecht vertreten, denke ich.«
Tenniel blickte Axel erstaunt und voller Dankbarkeit an. Axel schnaubte barsch, als wolle er einen Teil seines Lobes wieder zurücknehmen.
Später, am gleichen Tag, packte Tenniel eine kleine Reisetasche in seinem Zimmer hinter dem Laden und verließ dann Borgen. Nedden, sein Pferd,
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