Drachenland: Roman (German Edition)
Mensch hatte recht gehabt; das Geschöpf wollte den Süden überfallen!
Der Düsterling kreiste unter ihm und schoss dann mit mächtigen Flügelschlägen nach oben, in der Absicht, den Drachen mit seinen Hörnern zu durchbohren. Der Drache wich laut brüllend seitlich aus und entging dem Angriff. Die Anmaßung des Frostdrachen versetzte ihn in Wut. Er war alt und müde, aber er war immer noch ein Drache – Angehöriger einer Rasse, die die Frostdrachen generationenlang beschützt hatte! Sie hatten ihm mit Achtung zu begegnen! Er schwang sich empor, um sich erneut auf das anmaßende Geschöpf zu stürzen. Kein Frostdrache durfte sich der Anordnung der Feuerdrachen widersetzen!
Der Düsterling verlor keine Zeit, sondern stürzte sich ihm entgegen und schnappte mit seinen Zähnen nach dem verletzten Flügel des Drachen.
Der Drache schrie auf, als die Haut seines verletzten Flügels riss, aber gleichzeitig schleuderte er seinen Schwanz nach vorn und überraschte damit den Frostdrachen. Dann faltete er die Flügel zusammen und ließ sich weiter nach unten gleiten, um ein paar kostbare Momente Ruhe zu finden.
Der Düsterling deutete den Rückzug des Drachen als Furcht. Mit einem Triumphschrei, der bis zu den Schiffen tief unten drang, nahm er die Verfolgung auf. Zu seiner Überraschung stieg der Drache wieder auf, um seinem Angriff zu begegnen. Sie trafen auf halbem Weg aufeinander mit einem Geräusch, das wie plötzlicher Donnerschlag klang. Einen Augenblick lang stürzten sie zusammen ab mit so heftigen Flügelschlägen, dass die Wellen weit unten zu weißem Schaum aufgewirbelt wurden. Der Düsterling umklammerte den Drachen und versuchte, ihm mit seinen Krallen den Bauch aufzuschlitzen, aber der Drache hielt ihn sich mit seinen scharfen Klauen und seinem Schwanz vom Leib. Während sie stürzten, trafen ihre Blicke sich. In den ruhigen blauen Augen des Drachen sah der Düsterling keine Furcht, keine Panik; stattdessen sah er eine Entschlossenheit, die auch hundert Angriffe nicht vermindern würden. Er sah auch Trauer in ihnen.
In diesem Augenblick wusste der Düsterling, dass nur das tief in seinem Inneren gehütete Geheimnis den Drachen besiegen konnte. Der Drache würde sich nicht rächen; er war immer noch an die jetzt bedeutungslosen Gesetze eines längst vergangenen Zeitalters gebunden. Er, der Düsterling, war es, der die Kraft hatte, das Erwachen eines neuen Zeitalters zu lenken – das Zeitalter der Frostdrachen im warmen Land des Südens!
Der Düsterling riss sich los und stieg hoch in die Lüfte auf, und er heulte in einem Taumel der Verzückung, als die Wärme, die er so lange verborgen hatte, in ihm zu wachsen begann. So sollte es sein; er war sich dessen sicher. Das Feuer würde den Weg in ein neues Leben zeigen.
Der Letzte Drache blickte nach oben und sah den gekrümmten Körper des Frostdrachen vor dem mondhellen Himmel. Er hatte mit ihm gekämpft, aber doch sicher nicht hart genug, um ihn so schnell zu vertreiben. Er sah das Wesen erstarren und hörte es brüllen – und es war das Brüllen eines Feuerdrachen, nicht das Brüllen eines Frostdrachen.
Erst jetzt begann der Letzte Drache zu ahnen, was hinter dem Zorn des Wesens steckte. Es war fast zu spät. Ein weißer Flammenstoß schoss aus dem Maul des Düsterlings hervor und raste mit furchterregender Geschwindigkeit auf den Drachen zu. Er wich in einem jähen Sturzflug aus, und die Flamme versengte nur die Spitze eines Flügels. Der Düsterling schrie auf vor Entsetzen. Er hatte sein Ziel verfehlt!
Die Menschen, die von den Schiffen aus die Vorgänge verfolgt hatten, dachten zuerst, dass eine Sternschnuppe heruntergefallen sei. Alle auf dem Deck des Flaggschiffs schirmten ihre Augen ab gegen die grelle Lichtspur. Sie verlor an Farbe, während sie näher kam, und beleuchtete das Schiff in harten Schwarzweißtönen.
Dann explodierte das Meer! Im Nu war das Wasser mit Feuer bedeckt, da der Flammenstoß des Düsterlings das Öl entzündet hatte, das aus den über Bord gegangenen Fässern ausgelaufen war.
»Alle Männer an ihre Plätze!«, schrie Falkenwind. »Wir dürfen den Flammen nicht zu nahe kommen!«
Zum Glück hatten die Strömungen das Öl von der Flotte abgetrieben, so dass keine unmittelbare Gefahr für das Flaggschiff bestand.
Amsel blickte wieder nach oben, aber Licht und Rauch hatten den Himmel verdunkelt.
»Hört!«, sagte Ceria leise.
Von hoch oben, von jenseits der wogenden Wolken, drang wildes Geschrei zu ihnen herunter.
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