Drachenland: Roman (German Edition)
protestieren, aber dann erinnerte er sich an die Szenen, die sie einander vor zwei Jahren gemacht hatten. Was hatte es für einen Sinn? Sein Vater würde sich nie ändern. Dayon konnte nur seine Anteilnahme zum Ausdruck bringen und sich dann wieder zurückziehen.
»Wie geht es Mutter?«, fragte er.
Jondalrun senkte die Augen. »Du weißt es nicht?«, fragte er. »Nein, natürlich nicht. Du kannst es nicht wissen.«
Dayon spürte, wie Kälte in ihm aufstieg. »Was meinst du damit?«
»Sie ist bald nach deinem Weggang gestorben«, sagte Jondalrun mit rauer Stimme.
Dayon starrte aus dem Fenster. Es war, als sei der Nebel dichter geworden, weil alles so merkwürdig verschwamm. Dann gestand er sich ein, dass er weinte.
»Willst du damit sagen, dass ihr Tod meine Schuld ist?«, fragte er schroff.
Jondalrun schwieg einen Augenblick, und dann spürte Dayon die Hand seines Vaters auf seiner Schulter. »Nein«, sagte der alte Mann leise. »Sie starb am Fieber – man konnte ihr nicht helfen. Ich … ich wollte nicht so etwas andeuten.« Er zögerte, dann sagte er: »Ich bin ein alter Mann – ich rede zu viel.«
Dayon drehte sich um und blickte ihn an – er hatte noch nie zuvor seinen Vater so leise sprechen hören. Der alte Mann weinte nicht, aber seine Augen glänzten verdächtig. Ich würde ihn gern umarmen, dachte Dayon, aber seine Arme hingen wie Blei hinunter.
Vater und Sohn standen wieder schweigend beieinander, und es war, als hätten die Jahre sich plötzlich in Staub zu ihren Füßen verwandelt.
In den Hügeln über Tamberly versammelte sich eine Armee aus müden, frierenden, hungrigen Männern. Zwanzig Städte hatten je hundert Mann geschickt. Diese hier waren als Erste angekommen – aus Borgen und Jelrich. Sie waren lange marschiert, fest entschlossen, die Nacht in weichen warmen Betten zu verbringen, eine gute Mahlzeit im Bauch. Über zweihundert Mann liefen mit Fackeln und Geschrei hinunter nach Tamberly.
Die Leute aus der Stadt sahen sie kommen, eine große, zerlumpte Menschenwoge, die an Feldern und Viehweiden entlangrollte und sich in die Straßen ergoss. Ein paar Frauen schrien auf vor Furcht und versperrten hastig Türen und Fenster. Andere sahen interessiert zu. Ladenbesitzer und Händler auf dem Marktplatz verkauften zuerst mit Begeisterung ihre frische Ware, aber dann gerieten auch sie in Panik, als die Vorräte zu Ende gingen und die hungrige Menschenmasse nach Nahrung und Unterkunft schrie. Es gab in ganz Tamberly nicht annähernd genug Betten, um die Neuankömmlinge unterzubringen.
»Schnell!«, sagte ein Ladenbesitzer zu seiner Tochter. »Sage es den Ältesten! Es wird Ärger geben, noch bevor diese Nacht vergangen ist.«
Im Hinterzimmer der Graywood-Schenke bemerkten weder Jondalrun noch Dayon den zunehmenden Lärm draußen.
»Vater! Du verlangst Unmögliches! Ich bin Seefahrer und Fischer, kein Krieger!«
»Wenn du mein Sohn bist, wirst du neben mir kämpfen!«
Die alte Streitfrage war wieder da. Wieder konnte der Vater den Sohn nur vom eigenen Standpunkt sehen. Wieder konnte der Sohn seine Zukunft nur vom Standpunkt eines Seemannes sehen. »Wie kann ich dein Stellvertreter sein, Vater? Ich verstehe nichts von Kriegsführung!«
Mein Vater ist halsstarrig wie eh und je, dachte Dayon, aber diesmal werde ich nicht weglaufen. »Vater«, rief er, »ihr werdet nicht einmal die Küste von Simbala erreichen! Es gibt nur selten einen Tag, an dem man die Straße überqueren kann. Die Strömungen sind reißend, und die Schiffe werden einfach kentern! Ich weiß es! Ich war dort!«
»Dann fahre für Fandora noch einmal dorthin! Wenn du nicht kämpfen willst, dann setze deine seemännischen Fähigkeiten ein, um uns nach Simbala zu bringen!«
Dayon antwortete nicht. Ein Kompromissvorschlag von seinem Vater war so selten wie ein Lächeln. Mit einem Teil seiner selbst sagte er sich, er könne seinem Vater nichts abschlagen nach allem, was er durchgemacht hatte. Aber gleichzeitig konnte er sich nicht dazu durchdringen, den Plan gutzuheißen. Er war auf seiner letzten Reise nur mit Mühe dem Mahlstrom entkommen. Wie konnte er Bauern und Schmiede in diese Gewässer führen? Er konnte keine sichere Überfahrt garantieren. Wie konnte er die Verantwortung für ihr Leben übernehmen?
Dayon dachte an die Simbalesen. Sie waren natürlich Zauberer. Er hatte gehört, dass der Monarch von Simbala sich in einen Falken verwandeln konnte. Sie herauszufordern war Wahnsinn.
Und doch, wenn die Simbalesen
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