Drachenland: Roman (German Edition)
Treppe seinen Mantel reichen und ging zur Tür hinaus.
Evirae rollte sich auf die andere Seite. In Augenblicken wie diesem bedauerte sie es, dass sie so lange Nägel hatte; sie konnte die Hände nicht zu Fäusten ballen. Sie schlug mit den Handflächen auf die Seidenlaken ein, dann war sie ruhig und horchte auf die Geräusche, die die Rückkehr ihres Gemahls ankündigten.
Es kamen keine Geräusche.
Sie war zornig und verwirrt, aber darüber hinaus machte sie sich auch Sorgen. Sie war sich der Zuneigung Kiortes nie sicher gewesen, hatte oft gedacht, dass er in erster Linie stolz darauf war, mit der Prinzessin von Simbala verheiratet zu sein. Eine Ehe war in Oberwald im Allgemeinen eine gemeinsame Entscheidung, aber in der königlichen Familie ging es dabei meist um Politik. Als Prinzessin hatte Evirae das Recht gehabt, zu wählen, wen immer sie wollte. Zur Überraschung ihrer Familie war ihre Wahl auf den ernsthaften Kiorte gefallen. Sie hatte ihn nur ein einziges Mal richtig lächeln sehen: am Ruder seines Windschiffs. Er hielt sich abseits von der Familie und der Familienpolitik. Gerade dieses Verhalten hatte ihn für sie anziehend gemacht. Abgesehen von Altkönig Ephrion sah Evirae in Kiorte den einzigen Mann in der königlichen Familie, den sie mit ihrem Charme nicht beeindrucken konnte. Es war eine Herausforderung für sie, in ihrer Ehe die Oberhand zu behalten.
Sie lag auf dem Bett und kam sich vor wie ein verlassenes Kind. Kiorte verstand sie nicht! Man hatte ihr den Rubin von Simbala verweigert. Sie fühlte das Blut in ihren Schläfen pochen bei dem Gedanken. Die Demütigung! Die Qual! Eine der Alleen von Oberwald entlangzugehen und zu wissen, dass Frauen sie hinter ihren Fächern auslachten, dass Männer in sich hinein grinsten und Witze über ihre Situation machten! Evirae, Prinzessin von Simbala, ihrer Regentschaft beraubt von einem Bergmann! Sie konnte dieses Possenspiel nicht weiter zulassen. Sie würde Falkenwind vom Thron jagen lassen, sie würde das Gewicht des Rubins auf ihrer Stirn spüren, koste es, was es wolle.
Plötzlich setzte sie sich auf, warf Felle und Seidenlaken auf den Boden. Durch das offene Fenster hatte sie Schritte auf der Treppe draußen gehört. Kiorte kehrte zurück! Hastig warf sie sich einen Umhang über die Schultern und lief die Wendeltreppe hinunter. Sie würde ihm zeigen, wie zerknirscht sie war, wie sehr es ihr leidtat. Wenn sein männlicher Stolz befriedigt war, würde er vielleicht nicht mehr an ihre Unterhaltung mit dem Mann aus Nordwelden denken, bis sie bereit war, ihm die Wahrheit zu sagen.
Sie winkte den Pförtner zur Seite und öffnete die schwere Tür. Aber es war nicht Kiorte, der dort stand, im Begriff, an die Tür zu klopfen. Sie erstarrte, als sie einen Windsegler vor sich sah, der einen versiegelten Umschlag in der Hand hielt. Er blickte sie unsicher an. Evirae wickelte sich fester in den Umhang.
»Ja?«, sagte sie hochmütig.
»Verzeihung, edle Dame. Ich habe eine Botschaft für Prinz Kiorte …«
»Ich werde sie für ihn annehmen. Er ist … im Augenblick unpässlich.«
Der Windsegler, ein junger Bursche mit zerzaustem Haar, blinzelte verwirrt mit den Augen. »Bitte um Verzeihung, aber der Kapitän sagte, dies dürfe nur dem Prinzen ausgehändigt werden.«
Sie richtete sich auf, ihre grünen Augen wurden zu Eis bei dem Blick, den sie so gut beherrschte. »Ich bin die Prinzessin Evirae! Weigerst du dich etwa, mir die Botschaft zu übergeben?«
»Nein, Hoheit, natürlich nicht.« Er überreichte ihr hastig den Umschlag. Sie riss ihn auf und trat nach drinnen, während sie ihm über die Schulter zurief: »Warte einen Moment.«
Als sie die Botschaft gelesen hatte, stand sie eine Zeit lang völlig still da und wagte nicht zu glauben, dass sie ein solches Glück haben könnte. Das muss Bestimmung sein, sagte sie sich. Das Schicksal will, dass ich Simbala regiere – warum sonst sollten mir die Umstände eine solche Information in die Hand spielen?
Sie setzte sich an einen kleinen Schreibtisch und schrieb eine kurze Nachricht. Sie versiegelte sie mit einigen Tropfen Kerzenwachs und dem Siegel ihres Ringes und reichte sie dem Überbringer der Botschaft.
»Bring dies dem Kapitän«, sagte sie. »Sage ihm, dass ich über die Angelegenheit unterrichtet bin. Prinz Kiorte wünscht, dass der auf der Straße von Balomar gefangen genommene Fandoraner zu dem genannten Ort gebracht wird.«
Der Windsegler verbeugte sich und ging. Evirae zog an einem Klingelzug,
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