Drachenlanze - Die Stunde der Diebe
Göttern«, stieß Flint mißtrauisch aus, »was soll
denn das heißen, >auf Wanderlust sein«
Tolpan überraschte diese Frage augenscheinlich. »Ja, das ist
doch die Zeit, wo jemand herumwandert, das Leben
kennenlernt und Karten zeichnet. Wenn du genug gesehen hast
oder genug Karten gezeichnet, kannst du in deine Heimatstadt
zurückkehren und als Erwachsener leben. Macht das nicht
jeder?«
»Gütiger Himmel, nein«, schnaufte der Zwerg, der schon
wieder die Götter anrufen mußte. »Was für eine lächerliche
Vorstellung.«
Tanis bemerkte achselzuckend: »Ich finde, es entspricht den
Riten, wie es sie in jeder anderen Kultur gibt. Die Elfen haben
meines Wissens auch so etwas.« Ihn schmerzte die Erinnerung
an die Demütigung; vor Jahren hatte man ihm verboten, den
Elfenritus in Qualinost durchzuführen, weil er nur ein Halbblut
war.
»Und ich wette, die Zwerge haben auch etwas. – Und«, fuhr
Tanis fort, womit er das düstere Schweigen des Zwergs füllte,
»hast du schon genug gesehen, um nach Hause
zurückzukehren?«
»Noch nicht, aber ich sage dir«, sagte der kleine Kender, als
er sich mit ernster Miene vorbeugte, »von diesem Puff habe ich
ein paar richtig gute Karten.«
Der prüde Zwerg wurde wieder rot und kippte mit einem
letzten, langen Zug den Rest seines Biers herunter. »Wenn wir
schon bei Karten sind, laß uns doch noch etwas trinken und
einen Blick auf deine werfen.«
»Willst du die von dem Bordell sehen?« fragte Tolpan eifrig.
»Nein!« explodierte Flint, der durch Tanis’ Lachen noch
mehr aufgebracht war. Dann stieß er einen erleichterten
Seufzer aus, weil das Schankmädchen mit einer neuen Runde
zurückkam. »Du hast gesagt, du hättest Karten von Abanasinia,
und nur darum bin ich hier. Also raus damit«, befahl er.
Natürlich gab es kaum etwas auf der Welt, worüber Tolpan
lieber redete und womit er sich lieber brüstete, als seine Karten.
Im Nu hatte er einen Teller Bratwurst bestellt und es sich auf
seinem Stuhl an der Wand bequem gemacht. Ihm gegenüber
streckte Tanis seine Beine auf der Bank aus. Flint saß immer
noch steif neben ihm.
»Ich glaube nicht, daß du von da hinten aus gut sehen
kannst«, sagte Tolpan treuherzig zu dem Zwerg, »wo doch das
Licht so schlecht und deine Augen so alt sind.«
»Meine Augen sind ausgezeichnet! Du hast bloß Angst, daß
du mit deinen Karten meine Zeit verschwendest«, sagte Flint
und zeigte mit dem Finger auf den Kender.
Ein wenig verletzt knotete Tolpan die Klappe seiner
Schultertasche auf. »Kartenzeichnen bedeutet mir sehr viel,
weißt du«, sagte er zu niemand im besonderen. »Ich denke,
man könnte sagen, ich kann nicht anders. Ich sehe etwas
Interessantes, und dann muß ich es einfach aufschreiben. Ich
verkaufe sie nicht, auch wenn ich glaube, daß so schöne und
genaue Karten unheimlich viel wert sind. Ich mache sie nur für
mich. Und manchmal schenke ich jemandem eine, den ich
mag, aber wirklich nur ausnahmsweise.«
Tolpan griff mit beiden Händen in die Tasche und beförderte
einen wahren Wust zutage: gerolltes Pergament, gefaltetes
Pergament, einfaches und Zeichenpapier, ein paar kleine
Rindenstücke, das weiche Oberleder eines kostbaren
Reitstiefels, mehrere Ellen Leinen, eine knöcherne Röhre, die
an beiden Enden mit Wachs versiegelt war, und einen geraden
schwarzen Stock, der über eine Elle lang war.
Tolpan nahm den Stock und drehte ihn in den Händen. »Was
um alles in der Welt ist denn das?« überlegte er laut. Er klopfte
damit auf den Rand des Tisches und ließ ihn vor Überraschung
fast fallen, als sich ein Funkenschauer aus der Spitze löste.
Plötzlich begann er zu strahlen: Er wußte Bescheid.
»He, Fozgoz’ Zauberstab!« quietschte er. »Guck mal, Tanis,
ich kann damit zaubern!«
Während er aufsprang, deutete Tolpan mit dem Stab auf
Flint und deklamierte: »Ich befehle dir, eine nackte Ziege zu
werden, und zwar jetzt!«
Wild um sich fuchtelnd, versuchte der dicke Zwerg
verzweifelt, der zischenden Rauchsalve zu entkommen, die auf
ihn herabregnete. Sein Bierkrug krachte auf den Boden,
woraufhin sich ein Schaumteich ausbreitete. Die Bank kippte
fast um, bis Flint mit seinen Nagelstiefeln fest auf den Dielen
stand.
Inzwischen war Tanis’ Arm vorgeschossen, und seine
starken Finger hatten sich um Tolpans Handgelenk gelegt. Mit
der freien linken Hand entwendete Tanis Tolpan den
Zauberstab, der immer noch Funken sprühte, und tauchte ihn in
einen der vollen Krüge auf dem Tisch.
»Hast du eigentlich gar nichts im
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