Drachenlanze - Ungleiche Freunde
war es Zeit zu gehen.
Miral begleitete Flint zum Palast der Stimme westlich des
Sonnenturms, wo Flint seine vorläufige Bleibe gezeigt wurde:
eine Suite von Zimmern mit hohen Decken und
Marmorfußboden, die dreimal so groß waren wie sein Haus im
fernen Solace. Der Magier erklärte ihm, daß er sich ganz nach
Belieben ausruhen und erfrischen dürfe, und zeigte ihm dann
die Tür, die in einen kleinen Raum führte, wo ihn ein
Waschzuber mit nach Zimt duftendem Wasser erwartete. Dann
blieb er allein zurück. Essen und Bier - aber kein
Elfenblütenwein - sollten bald eintreffen.
»Ein Zwerg in Qualinost!« sagte Flint ein letztes Mal leise
schnaubend zu sich selbst. Während er darüber nachgrübelte,
daß der Elfengeschmack bezüglich Duft und Wein nicht gerade
seinem eigenen entsprach, zog er Tunika und Hosen aus und
tauchte in das würzig riechende Badewasser, um den Staub und
Schmutz der Straße abzuspülen.
Als nicht lange darauf ein Elfendiener kam, fand er den
Zwerg in eine rostrote Robe gehüllt und lautstark schnarchend
auf dem Bett vor. Leise stellte der Diener das Tablett mit rotem
Bier, Braten und gewürfelten Kartoffeln ab, blies die wenigen
Kerzen aus, die den Raum erhellten, und überließ den Zwerg
der Dunkelheit und seinen Träumen.
Kapitel 2
Hüte dich vor der Finsternis
Wenn der Erwachsene träumte, träumte er wie als Kind. Er
träumte, er sei ein Kleinkind, das vor dem Eingang zu einem
Tunnel stand. Der einst glatte Quarz, Marmor und Stein um
den Eingang war jetzt von Alter und Vernachlässigung
schmutzig. Ein kleiner Baum - keine Espe, keine Eiche, nichts,
was der Junge in seinem kurzen Leben schon gesehen hatte wuchs neben dem Höhleneingang aus dem Stein. Die Nase des
Jungen zuckte bei dem Geruch nach feuchtem Stein und - blaue
Augen wurden groß - dem Duft von Zimt! Zimt und
Hagelzucker auf Quith-Pa - die Lieblingsleckerei des Jungen.
Und nach einem Tag im Freien war er hungrig und müde.
Aus einem nahen Dickicht des Wäldchens, dem heiligen
Hain in der Mitte von Qualmost, hörte er die Stimme seiner
Mutter. Der Junge stand unentschlossen in der Öffnung des
Tunnels und umklammerte ein Stofftier, einen Kodrachen, mit
seiner dicken Hand. Gestern war die Höhle noch nicht
dagewesen, dachte das Kind, aber heute war sie es. In einer
Kinderwelt ist alles möglich, und dieses Kind hatte noch keine
Angst kennengelernt.
Von drinnen lockte eine Gegenwart. Vielleicht würde die
Gegenwart mit dem Kleinen spielen. Seine eigenen großen
Brüder waren viel zu sehr mit Große-Brüder-Sachen
beschäftigt. Die Mutter rief wieder, diesmal mit etwas
ängstlicher Stimme.
Das Kind rang mit sich. War das »Das Spiel«, wo Baby sich
versteckt und Mami es sucht? Gab es ein besseres Versteck als
einen schönen Tunnel? Quarz, Marmor und Stein glänzten
jetzt, als hätte eine magische Gegenwart sie von einem
Augenblick auf den anderen poliert.
Die Mutter forderte den kleinen Jungen auf, aus seinem
Versteck zu kommen. »Sofort, kleiner Elf. Sonst...«, warnte
sie.
Damit war die Sache entschieden. Das Kind flitzte in die
Höhle. Und in dem Moment, in der ersten unsicheren Pause im
dunklen Tunnel, ging die Öffnung zu. Schlingpflanzen
schössen aus der feuchten Erde hoch. Steine polterten und
schlössen das Nachmittagslicht aus. Innerhalb von Sekunden
war der Eingang verschwunden.
Der Kleine stand verunsichert vor dem Geröllhaufen, wo der
Eingang zur Höhle gewesen war. Er wollte hinaus, aber es gab
kein Hinaus mehr. Es gab kein Licht, keinen Zimtgeruch.
Es gab nur den Tunnel.
Der Mann erwachte wimmernd.
Kapitel 3
Flint lebt sich ein
AC.288, Spätsommer
Die Wochen nach der Ankunft in Qualinost waren für Flint
mit Arbeit ausgefüllt. Heute marschierte der Schmied wie fast
jeden Tag zum Sonnenturm, wo er nur wenige Augenblicke bei
der Wache im kalten Korridor vor dem Arbeitszimmer der
Stimme warten mußte, bevor der Elfenherrscher ihn hereinbat.
Selbst jetzt noch, nach Monaten in Qualinesti, sprach die
stille Größe der Gemächer der Stimme Flints Seele unmittelbar
an. Hügelzwerge fühlen sich der Natur ebenso verbunden wie
Elfen. Durch die großen, durchsichtigen Wände - extravagante
Glaswände - flutete Licht herein, so daß das baumbestandene
Land außerhalb der Privatgemächer wie eine Erweiterung des
Zimmers aussah. In den letzten Wochen hatten die Birnen und
Pfirsiche schwer an den Zweigen gehangen, und die Äpfel
waren rot geworden. Solostarans Zimmer waren nahezu
schmucklos. Fensterbänke aus
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