Drachenlord-Saga 01 - Der letzte Drachenlord
Lehrlinge nannten es ihre »Höhle«; eines höfischen Heilers nicht würdig. Doch Tasha fühlte sich wohl in dem kleinen Raum, der ihr als Arbeitskammer diente. Keiner der heute Lebenden wußte, weshalb er so seltsam geschnitten war. Aber als Tasha an den Hof gekommen war und den Raum zum ersten Mal betreten hatte, hatte sie sich sofort in ihn verliebt. Vollgestellt mit Regalen, in denen sich Bücher und Behälter mit medizinischen Kräutern und Heilölen stapelten, war der bienenstockförmige Raum ihr Fluchtpunkt.
Dieser Tage erschien er ihr wie ein Gefängnis.
Die Öllampe flackerte und drohte zu verlöschen. Das Kinn auf eine Handfläche gestützt, seufzte Heilerin Tasha und zündete an der vergehenden Flamme ein Stück Holz an. Bedächtig hielt sie das glimmende Holz an den Docht einer neuen, vollen Öllampe, um sich sodann wieder ihren Büchern zu widmen. Drei Bände lagen aufgeschlagen vor ihr auf dem Arbeitstisch – und keines half ihr herauszufinden, was Rann fehlte. Einige seiner Symptome paßten zu einigen der beschriebenen Krankheiten andere wiederum nicht. Die Behandlungsvorschläge für diese Krankheiten halfen nicht – oder machten Rann noch kränker.
Sie preßte die Handballen in die Augen und unterdrückte ein Gähnen. So sehr es ihr auch mißfiel, sich einzugestehen, daß ihre heutige Suche ebenso ergebnislos endete wie die der vorherigen Abende, so klar war ihr auch, daß sie zu müde war, um konzentriert weiterzuarbeiten. Sie mußte sich bald hinlegen. Nicht auszudenken, daß sie das gesuchte Heilmittel übersah, nur weil sie zu erschöpft war.
Hätte der Schreiber, der diese Bücher kopiert hatte, nur nicht eine so winzige Handschrift gehabt. Vermutlich hatte er Tinte und Pergament sparen wollen, der Geizhals. Sie hatte nicht mehr die Energie, ihn gebührend zu verfluchen.
Sie schloß kurz die Augen und las danach weiter, bis der Docht bereits zur Hälfte heruntergebrannt war. Nur noch ein paar Minuten …
Ein leises Türklopfen ließ sie aufschrecken. Ihr Kopf fuhr hoch. Verflixt und zugenäht, sie war tatsächlich eingeschlafen.
»Ja?« sagte sie und sah schlaftrunken zur Tür. Bitte – kein Notfall. Nicht heute. Ich bin zu müde.
Jemand stand direkt hinter dem Türrahmen in der Dunkelheit – scheinbar ein Riese. Tasha überlegte, wer am Hof so groß war. Dann trat der Mann aus dem Schatten. Ohne sein Amtsgewand erkannte sie ihn erst nicht. Dann sah sie, wer er war, und starrte ihn sprachlos an.
Sobald sie die Fassung zurückgewonnen hatte, sprang sie auf. »Euer – Euer Gnaden!« stammelte sie. Plötzlich kam ihr ein beunruhigender Gedanke. »O Götter, Ihr seid doch nicht krank, oder?«
Linden bedeutete ihr, sich wieder zu setzen. »Mir geht es gut, danke. Heilerin …« Er sah sie fragend an.
Ihre Zunge schien sich zu verknoten, doch schließlich brachte sie ihren Namen heraus. »Tasha.«
Er nickte. »Heilerin Tasha, mein Besuch ist rein informativ, nehmt also ruhig wieder Platz. Ihr seht – wenn ich das sagen darf – erschöpft aus.«
Dankbar sank Tasha auf ihren Stuhl. Sie fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht und sah automatisch auf die Bücher vor ihr.
Der Drachenlord fragte freundlich: »Ihr sucht nach Antworten wegen Rann?«
Sie nickte.
Er zog den einzig verfügbaren Stuhl von der Wand und stellte ihn umgedreht vor den Schreibtisch. Er setzte sich, die Arme auf der Lehne verschränkt, die Beine auf beiden Seiten von sich gestreckt. »Was fehlt dem Kind?«
Tasha biß sich auf die Zunge, um nichts Schnippiges zu entgegnen. Ranns Onkel und der halbe Hof stellten ihr zehnmal am Tag dieselbe Frage. Und sie konnte dem Drachenlord nicht mehr sagen als den anderen auch.
Doch zumindest lag kein ärgerlicher Unterton in seiner Frage, nur aufrichtige Neugier – und ein Anflug von Traurigkeit. Sie entsann sich, daß Rann ihr erzählt hatte, wie nett der Drachenlord zu ihm gewesen sei.
Er macht sich ernsthafte Sorgen. Die Erkenntnis überraschte sie. Sie hatte immer geglaubt, Drachenlords wären entrückte Wesen ohne Gefühl. Zu sehen, daß sie dieselben Gefühle wie Echtmenschen empfanden, bewegte sie. Dennoch ersparte sie ihm ihre Frustration und sagte nur bitter: »Ich weiß es nicht.«
Linden Rathan schien über ihre Worte nachzudenken. Er sah auf seine Hände hinunter und rieb mit dem Daumen die Knöchel der anderen Hand. Das Licht der Öllampe schimmerte in seinen hellen Haaren. Schließlich fragte er: »Ist Euch so ein Fall schon einmal untergekommen?«
Tasha
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