Drachenlord-Saga 01 - Der letzte Drachenlord
»Nun, es wird halb so wild. Es sieht nicht allzu schlimm aus.«
Er folgte ihrem Blick und starrte zum aschgrauen Himmel empor. Am Horizont zogen gigantische schwarze Sturmwolken auf. Nicht allzu schlimm? Für ihn sah es aus wie der Zorn der Götter. Er schluckte. »Ich gehe in meine Kajüte.«
Sie hielt ihn am Ärmel fest. »Otter, sei gewarnt: Während des Sturms kann ich niemanden entbehren, der deine Kajüte saubermacht, und hinterher wahrscheinlich auch nicht.«
»Was?« Und als ihm die volle Bedeutung ihrer Worte dämmerte: »Oh, Gifnus verdammte Höllen.«
Mit einem Kopfnicken deutete Maurynna auf die Steuerbordreling. »Ich denke, dort dürfte während des Sturms der sicherste Platz für dich sein. Kara, holt Otter einen Öltuchumhang aus dem Frachtraum und bindet ihm eine Sicherheitsleine um.«
Maurynna ging vom Vierteldeck, um den Rest der Mannschaft zu unterrichten. Otter wartete mürrisch an die Reling gelehnt darauf, daß der Zweite Maat zurückkehrte. Obwohl er wußte, daß ein Barde stets offen sein sollte für neue Erfahrungen, würde er auf diese lieber verzichten.
Da er schon mal auf den Beinen war, beschloß Linden, an diesem Morgen früher als üblich zum Palast zu gehen. Falls Rann schon aufgestanden war, konnte er vor der heutigen Sitzung eine Weile mit dem Jungen spielen.
Rann war tatsächlich schon wach und spielte im Garten mit seinem Wolfshund und einer schlanken jungen Frau mit rundem, freundlichem Gesicht. Das mußte Gevianna sein, im Gegensatz zu Lady Beryl paßte es zu ihr, mit Rann und dem Wolfshund herumzutollen, fand Linden.
»Drachenlord!« rief der junge Prinz freudig und rannte ihm entgegen. Bramble, der Wolfshund, lief neben ihm her.
Linden nahm Rann und warf das lachende Kind in die Luft. Verdammt, der Junge war ja nur noch Haut und Knochen! »Habt Ihr schon gefrühstückt, Hoheit?« fragte er.
»Ja. Aber wenn du Hunger hast, Drachenlord, kann Gevianna dir etwas bringen«, sagte Rann ihn mißdeutend.
»Nur wenn Ihr auch noch etwas eßt«, sagte Linden und sah den Blick der Pflegerin. Sie lächelte dankbar.
»Ich werde Brot und Käse bringen«, sagte sie und erhob sich aus dem Gras. Sie bedachte die beiden mit einem Hofknicks und eilte davon.
Rann sah ihr einen Moment nach, dann wandte er sich wieder zu Linden um. »Drachenlord«, sagte er schüchtern, »können wir ein Spiel spielen, während wir auf sie warten?«
»Klar«, sagte Linden und setzte Rann ab. »Was möchtet Ihr spielen?«
»Verstecken. Du versteckst dich, und Bramble und ich müssen dich suchen.«
»Toll. Aber wollt Ihr Euch nicht lieber verstecken?« fragte Linden, der sich an seine Kindheit erinnerte. Er hatte es immer gehaßt, der Suchende zu sein.
Rann seufzte verdrossen. »Bramble verrät mich immer«, sagte er mißmutig. »Er kann nicht stillsitzen.«
Linden verkniff sich ein Lächeln. »Verstehe. Nun denn, Ihr schließt die Augen und zählt, und ich verstecke mich.«
»Ja!« Rann legte die Hände über die Augen und begann, laut zu zählen. »Eins. Zwei. Drei …«
Linden wandte sich um und rannte so leise wie möglich durch den Garten. Er duckte sich hinter den tiefhängenden Zweigen einer Trauerweide. Das konnte für Rann nicht allzu schwierig sein, und solange er stillsaß, würde der übermütige Wolfshund ihn nicht entdecken. Linden zog die Zweige ein Stück auseinander.
Rann nahm die Hände von den Augen und rief voller Enthusiasmus: »Ich komme!« Aber der Junge war erst wenige Schritte gelaufen, als Lady Beryl hinter einer Hecke hervorkam und ihn am Arm packte. Sie zerrte ihn unter wildem Protestgeschrei fort. Bramble folgte ihnen mit hängendem Kopf und eingezogenem Schwanz.
Es ging so schnell, daß Linden nichts sagen konnte. Als er die Stelle erreichte, wo er Rann zurückgelassen hatte, waren der kleine Prinz und seine Gouvernante verschwunden.
Gevianna erschien mit einem Tablett auf dem Arm. Sie sah ihn an und fragte seufzend: »Lady Beryl, Euer Gnaden?«
Linden nickte. »Woher weißt du, daß …«
»Sic tut das ständig, Drachenlord. Sobald ich Rann einen Moment aus den Augen lasse, fallt sie über ihn her, selbst wenn bis zu seinem Unterricht noch Zeit ist. Ich könnte schwören, daß sie uns nachspioniert.«
»Tatsächlich?« sagte Linden leise. »Danke, nein, Gevianna, ich bin nicht hungrig.« Er winkte die Pflegerin fort.
Sie ging. Linden stand allein unter dem wolkenverhangenen Himmel und dachte nach.
Otter versuchte seinem Magen zu sagen, daß nichts mehr in ihm
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