Drachenlord-Saga 01 - Der letzte Drachenlord
sei, doch sein Magen weigerte sich, ihm zuzuhören. Otter beugte sich wieder über die Reling und versuchte, alles hinauszuwürgen, was er je in seinem Leben zu sich genommen hatte. Als sein entleerter Magen erschöpft aufgab, sank Otter entkräftet aufs Deck, einen Arm um die Reling geschlungen, die Augen geschlossen, und rollte sich zusammen wie ein kranker Igel.
Es dauerte eine Weile, bevor er seine Umgebung wieder bewußt wahrnahm. Zuerst dachte er, das herumspritzende Wasser stammte vom niederprasselnden Regen. Doch als einige Spritzer auf seine Lippen fielen und sein umnebelter Verstand »Salz!« schrie, überwand er sich und hob den Kopf.
Und wünschte, er hätte es bleibenlassen. Eine riesige grüne Wasserwand war kurz davor, aufs Heck der Seenebel niederzukrachen. Maurynna und der Erste Maat standen mit dem Rücken zum Heck, die Gefahr nicht ahnend. Aufgeregt deutete er auf die riesige Welle hinter ihnen.
Die Welle stieg höher, ihr Rand kippte über, um das kleine Schiff zu verschlingen – und verschwand. Augenblicke später erhob sie sich von neuem.
»Was zum …«, rief Otter entgeistert.
Endlich bemerkte Maurynna sein frenetisches Armrudern. Sie sah zu der hinter ihr emporsteigenden Welle zurück und nickte bloß. Die Hände um den Mund gelegt, rief sie ihm zu: »Keine Sorge! Die erwischt uns nicht! Es sieht nur so aus, weil wir im Augenblick am Tiefpunkt der Dünung sind. Die Wellen schießen unter uns durch – schau!«
Er zog es vor, nicht hinzuschauen. Doch fasziniert von dem Schauspiel, gelang es ihm nicht, den Blick von den tosenden Wellen zu lösen, die sich jedesmal von neuem anschickten, die Seenebel in Treibholz zu verwandeln.
Maurynna arbeitete sich Hand über Hand an den quer übers Vierteldeck gespannten Sicherheitsleinen zu ihm vor. Eine der Leinen fest gepackt, griff sie mit der anderen nach seiner Schulter. »Wie geht es dir?«
»Ich fühle mich, als müßte ich sterben und würde fürchten, daß ich es nicht kann«, scherzte Otter schwach.
»Ehrlich gesagt, du siehst schrecklich aus. Ich glaube nicht, daß der Sturm noch lange dauert, und sobald er vorbei ist, gehst du in deine Kajüte.« Ein Windstoß blies ihr die langen schwarzen Haare übers Gesicht. Sie strich sie fort. Ihre zweifarbigen Augen blitzten vergnügt.
»Du genießt den Sturm!« rief er verwundert.
Sie schien überrascht. »Natürlich. Die ganze Mannschaft genießt ihn. Dies ist kein wirklich schlimmer Sturm, Otter; sieh doch, wie viele Segel wir gesetzt haben. Und wir kommen prächtig voran. Mit ein bißchen Glück sind wir morgen in Casna.«
»Die Götter mögen mir beistehen«, stöhnte Otter. »Das Mädchen und ihre Mannschaft sind verrückt. Bringt mich wohlbehalten an Land, und ich werde nie wieder einen Fuß auf ein Schiff setzen.« Zum Glück habe ich ihr nicht erzählt, was in Casna auf sie wartet. Sonst hätte sie alle Segel gesetzt und ihre Mannschaft zusätzlich noch paddeln lassen. »Ich sollte mit der Überraschung bis zu deinem Geburtstag warten. Das wäre nur gerecht.«
Aber Maurynna lachte bloß und kämpfte sich wieder zum Steuerruder zurück. Unterdessen rief sie ihm zu: »Vergiß nicht, Otter – du sagst mir, was die Überraschung ist, sobald wir in Casna sind!«
14. KAPITEL
Linden, der links neben Kief saß, beugte sich vor und studierte das Dokument, das vor ihnen auf dem Tisch lag. Tarina, rechts von Kief, tat dasselbe.
Das ist also das Schriftstück, das Beren die Regentschaft zuspricht, dachte Linden.
Das Dokument war erst an diesem Morgen aufgetaucht. Ein verwirrt dreinblickender Archivar hatte es in den Sitzungssaal gebracht und Kief überreicht.
»Ich verstehe nicht, wie es in die Schublade gelangen konnte, Drachenlord«, hatte der perplexe Ferrin gesagt, während Kief die königsrote Schleife von der Pergamentrolle zog und sie glattstrich. »Es war reiner Zufall, daß wir es überhaupt gefunden haben. Hätte der Zahlmeister nicht einige alte Steuerrollen überprüfen müssen …« Der Mann zuckte mit den Schultern.
War es letztlich doch bloß ein Versehen gewesen? Denn wäre es absichtlich getan worden, hätte der Dieb das Dokument zerstört und wäre nicht das Risiko eingegangen, daß es jemand fand.
Sie würden es wahrscheinlich nie erfahren.
Er las es ein zweites Mal. Angeblich handelte es sich um Königin Desias Handschrift, und ein Blick auf die anderen königlichen Dokumente, die auf dem Tisch ausgebreitet lagen, schien zu bestätigen, daß das Schreiben
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