Drachenlord-Saga 01 - Der letzte Drachenlord
die aussah wie ein winziger Vogel, so streng klingen konnte. Das Dilemma erkennend, in dem Maylin steckte – sollte sie ihre Cousine verpetzen oder die Schimpftirade ihrer Mutter über sich ergehen lassen –, beschloß Otter, daß es an der Zeit war, die Dinge aufzuklären.
»Maylin macht sich Sorgen, weil Maurynna sich in einen Dockarbeiter verliebt hat. Sie hat heute in der ganzen Stadt nach ihm gesucht, stimmt’s, Maylin?« sagte der Barde, ohne auf Maylins wütenden Blick wegen seines scheinbaren Verrats zu achten.
Elennas Augenbrauen verschwanden fast unter den angegrauten braunen Stirnlocken. »Dockarbeiter?« Sie richtete den Blick auf ihre ältere Tochter. »Du hast davon gewußt und mir nichts gesagt?«
Maylin preßte die Lippen zusammen und funkelte Otter wütend an.
»Wie der Zufall es wollte, suchte der ›Dockarbeiter‹ auch nach ihr«, fuhr Otter fort. »Ich habe ihn hergebracht, und sie haben sich draußen im Garten gefunden.« Was nichts als die reine Wahrheit war.
»Otter«, sagte Elenna in so drohendem Ton, daß sich seine Nackenhaare aufstellten, »Ihr solltet es besser wissen. Wenn Kesselandt und die anderen das erfahren, könnte Maurynna schlimme Schwierigkeiten bekommen. Sie könnte sogar ihren Kapitänsrang verlieren. Die Erdons stehen über Dingen wie Liebschaften mit gewöhnlichen Dockarbeitern. Am besten, ich schicke diesen Emporkömmling nach Hause und rede ein ernstes Wort mit dem Mädchen.«
Otter versperrte Elenna den Weg und hielt Maylin fest, als sie versuchte, an ihm vorbeizukommen. »Ahm, Elenna – es ist ein ziemlich ungewöhnlicher Dockarbeiter. Ich glaube, es wäre klüger, ihm etwas Leckeres zu essen anzubieten – frisches Brot und Käse – und vielleicht Euer hervorragendes, selbstgebrautes Schwarzbier als Willkommenstrunk.«
Elenna starrte ihn entgeistert an. »Wie bitte?«
Otter nickte, sein Spiel genießend. »Mein Wort als Barde. Kommt, ich helfe Euch sogar beim Tischdecken.«
Während er Elenna und Maylin half, die Speisen und das Geschirr aufzutragen, weigerte sich Otter, ihre immer bohrenderen Fragen zu beantworten. »Ihr werdet schon sehen.«
Aber als er die Haustür aufgehen hörte, besann Otter sich eines Besseren. Es war klüger, sie zu warnen, bevor einer von ihnen vor Überraschung in Ohnmacht fiel. »Der Mann, den Maurynna beim Entladen ihres Schiffes kennenlernte, ist kein Dockarbeiter. Er war nur am Hafen, um sich das Schiff anzuschauen, auf dem ich herkam. Er fand die Verwechslung amüsant und sagte Maurynna nicht, wer er wirklich ist. Er ist Linden Rathan.«
»Was!« entfuhr es Elenna. Fassungslos schlug sie eine Hand vor den Mund, während Stiefelschritte im Flur erklangen.
Kellas Lippen formten ein überraschtes O.
»Das kann nicht sein!« flüsterte Maylin bestimmt. »Er hat eine Affäre mit Lady Sherrine von Colrane!«
Nun war es an Otter, überrascht zu sein – und besorgt. »Was?« entfuhr es ihm, unbewußt Elenna imitierend.
Aus dem Flur drang Maurynnas Stimme herein. »Ich glaube, sie sind da drin. Ich habe sie reden gehört.«
Maurynna erschien in der Tür. Sie glühte vor Glückseligkeit. Otter glaubte, noch nie eine so schöne Frau gesehen zu haben. Der Ausdruck in ihren Augen traf ihn mitten ins Herz und inspirierte ihn zu einem neuen Lied.
Linden sah über ihre Schulter hinweg ins Zimmer. »Ihr seid die beiden, denen ich jeden Tag zuwinke«, sagte er überrascht und folgte Maurynna.
Ein kleiner Wirbelwind sauste an Otter vorbei. Linden bückte sich und hob Kella hoch.
»Hallo, Kleine!« sagte der Drachenlord frohgelaunt. »Endlich lerne ich dich und deine Schwester kennen.«
Otter hielt sich zurück. Ich würde zu sehr nach einem Herold klingen, wenn ich ihn offiziell vorstelle. So ist es besser, dachte er bei sich, während Linden lachend und ungezwungen die Frauen der VanadinFamilie begrüßte, die ganze Zeit Kella auf dem Arm. Lächelnd sah Otter, wie die freie Hand des Drachenlords bei jeder Gelegenheit nach Maurynnas griff, selbst nachdem sie sich zum Essen hingesetzt hatten.
Die anfangs etwas steife Unterhaltung wurde entspannter, als die Vanadins Linden allmählich als einen der ihren akzeptierten. Sie redeten stundenlang. Auf Maylins Frage »Wie habt ihr euch kennengelernt?« antwortete Otter: »Er ist mir bei einer meiner Reisen über den Weg gelaufen, als ich eines Nachts im Freien lagerte.«
Linden lachte. »Stimmt, Otter – und du hattest keine Lust, dein Lager mit einem Hinterwäldler aus den Bergen
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