Drachenlord-Saga 01 - Der letzte Drachenlord
deine Zauberkraft anfing nachzulassen. Also, wo ist es?«
Nethuryn wimmerte, ebensosehr wegen der schmerzlichen Wahrheit wie wegen des Dolches in seiner Brust. Er starb; er wußte es. In seinem langen Leben hatte er viele Dinge getan, die ihm leid taten, und daß er erschaffen hatte, was in dem Kästchen lag, war eines dieser Dinge. Er war ein Narr gewesen. Er hätte es zerstören oder der Obhut eines mächtigeren Magiers anvertrauen sollen. Doch wie hätte er etwas fortgeben können, das ihn soviel Schweiß und Tränen gekostet hatte? Wenn er stark blieb und nichts sagte, würde Pol vielleicht – nur vielleicht – mit leeren Händen verschwinden …
Ohne es zu wollen, stöhnte Nethuryn auf, als er Kas Althumes Lakai vor das Wandbrett mit dem Geschirr treten sah.
Pol schaute über die Schulter zu ihm und lächelte. »Wird es ›heiß‹, wie man in dem Kinderspiel sagt?« höhnte er. »Ich denke, ja, Nethuryn. Sieh nur, wie dir fast die Augen übergehen. Oder ist das nur der nahende Tod? Aber es war gerissen von dir, alter Mann, es so offen herumliegen zu lassen. Hättest du nicht wie ein angestochenes Schwein gequiekt, hätte ich wohl stundenlang meine Zeit vergeudet – ah, da ist es ja.«
Große Hände schlossen sich um das unbearbeitete kleine Kästchen. Mit letzter Kraft hob Nethuryn einen Arm. »Nicht bitte. Kas versteht nicht, wie gefähr …«
Pol fuhr herum und stieß den Arm weg. »Alter Narr. Mein Herr versteht mehr von diesen Dingen, als ihr je verstanden habt. Er weiß, was Macht ist und wie man sie an sich reißt.« Er sah auf das Kästchen in seiner Hand und klappte es auf.
Durch das Rauschen in seinen Ohren hörte Nethuryn ihn murmeln: »Wer hätte gedacht, daß der alte Kerl so gerissen ist«, während Pol die Gewürzbeutel zu Boden warf. Dann kam ein tiefes, zufriedenes »Ah!«, und der gedungene Mörder nahm etwas von der Größe eines Apfels aus dem Kästchen.
Nethuryn starrte auf das Juwel, daß Pol hochhielt. Es sog den flackernden Feuerschein in sich auf und versprühte zugleich eisblaue Lichtblitze. Nethuryn spürte die Wärme aus seinem Körper schwinden, während das Juwel immer heller erstrahlte. Merro rannte winselnd in die Nacht hinaus.
»Natürlich – es lädt sich mit dir auf, nicht wahr, Nethuryn? Du stirbst, deswegen trinkt es deine Seele. Wie nett von dir, alter Mann.«
Bewundernd drehte er den Edelstein in der Hand und betrachtete ihn von allen Seiten. »Mein Herr wird zufrieden sein. Ein Seelenfänger-Juwel, das bereits mit der Seele eines seiner Feinde gefüllt ist.«
Nethuryns leer werdender Blick folgte dem Juwel. Das Strahlen spiegelte sich in seinen Augen. Er sah das letzte, triumphierende Blitzen des Juwels, stöhnte ein letztes Mal auf und starb.
24. KAPITEL
Am frühen Morgen kam Maylin mit verquollenen Augen die Treppe hinunter. Nur weil ihr jede Stufe seit langem vertraut war, stolperte sie nicht.
Tee. Sie brauchte eine Tasse guten starken Tee. Zwei Stunden Schlaf waren einfach zuwenig. Ich frage mich, ob Maurynna zum Schlafen gekommen ist. An ihrer Stelle hätte ich kein Auge zugetan. Als sie gähnend die unterste Stufe erreichte, schwang sie sich mit einer Hand um den Treppenpfosten. Ihre nackten Füße glitten über die Steinfliesen, während sie den Flur zur Küche hinunterschlurfte.
Sie legte den Kopf schräg, als sie am Büro vorbeikam und Stimmen hörte. Gütige Götter! Lehrlinge, die man nicht aus dem Bett scheuchen muß? Wo kommen wir bloß hin? dachte sie mit müder Belustigung.
Ein leises, tieftönendes Lachen ließ sie alle Gedanken an Tee vergessen. Das war kein Lehrling! Die Tür stand einen Spaltbreit offen. Vorsichtig schob sie sie noch etwas weiter auf und spähte ins Zimmer.
Maurynna und Linden Rathan hielten einander eng umschlungen in den Armen. Er sagte: »Dann wäre es also möglich? Du hast nichts gegen einen kleinen Ausflug?«
Maurynna antwortete: »Es ist eine einfache Fahrt. Ich glaube nicht, daß meine Mannschaft etwas einzuwenden hat. Laß mich nachdenken … Hm, in zwei Tagen geht die Flut zurück …«
Ohne es zu merken, schob Maylin die Tür weiter auf. O Götter, das hatte sie nicht gewollt. Ganz und gar nicht. Verlegen stand sie im Türrahmen und wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken.
Hastig traten Maurynna und Linden Rathan auseinander, entspannten sich aber, als sie sahen, daß es Maylin war. Der Drachenlord legte einen Arm um Maurynnas Schultern. Maylin sah, daß er ein Lächeln zu verbergen
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