Drachenlord-Saga 01 - Der letzte Drachenlord
nicht weniger von mir – was sollte es mich also kümmern, was eine Frau von mir hielt, die seit sechs Jahrhunderten tot ist? Zu seiner Überraschung vertrieb diese Erkenntnis den Schmerz, den er stets empfunden hatte, wenn er an Bryony dachte. Er seufzte mit lange überfälliger Erleichterung und setzte sich um, so daß er Maurynna einen Arm um die Schultern legen konnte. Er wagte nur ein kurzes, festes Drücken. »Es ist lange vorbei.«
Otter sagte: »Ich glaube, wir können die Süßkartoffeln ins Feuer legen. Linden, warum fängst du nicht an?«
Linden begann, mit einem Finger in den brennenden Holzscheiten herumzustochern. Er sah auf und schaute in Maurynnas entgeistertes Gesicht. Eine Hand lag über ihrem Mund, und ihre Augen schienen jeden Moment aus den Höhlen zu fallen.
O Götter. Schon wieder hatte er sie zu Tode erschreckt. Otter, der hinterhältige Kerl, hielt sich den Bauch vor Lachen. Linden merkte zu spät, daß er hereingelegt worden war. Die Hand noch immer im Feuer, sagte er: »Maurynna – Liebste –, es ist nicht schlimm. Wirklich nicht. Feuer kann mir nichts anhaben.«
Sie schluckte benommen. »Das – das weiß ich. Aus den Geschichten. Aber es mit eigenen Augen zu sehen …« Sie schauderte.
Verärgert drückte Linden Vertiefungen in die Holzscheite und legte die in Seegras gewickelten Süßkartoffeln hinein. »Ich sollte dich das tun lassen, Schwatzmaul«, raunte er Otter zu.
»Was? Damit ich mir die Finger verbrenne und nach dem Essen nicht für euch spielen kann? Tja, das würde bedeuten, daß ich zu deinem Harfenspiel singen müßte. Und ich würde ein Vermögen darauf setzen, daß du in letzter Zeit nicht viel geübt hast.«
Linden grinste. »Stimmt. Aber ich finde sowieso, daß lieber du die Harfe zupfen solltest, während Maurynna und ich uns aneinanderkuscheln und dir zuschauen. Stimmt’s, Liebste?« fragte er augenzwinkernd.
Er fand, daß sie richtig süß aussah, wenn sie rot wurde.
Für Maurynna verging der Tag wie im Traum. Über den Strand schlendern, den Kindern zusehen, wie sie durch die Wellen tobten oder sich zwischen den Felsen versteckten – und fast die ganze Zeit war Linden Rathan an ihrer Seite.
Es war der schönste Tag ihres Lebens, und doch … Linden schien ein wenig zurückhaltend, schien nicht mit ihr allein sein zu wollen. Und nun hatten sie das Boot kommen lassen. Bald würde dieser Tag nur noch eine Erinnerung sein.
Deswegen spazierte sie am Ende noch einmal allein über den Strand, außer Sichtweite von den anderen. Sie lehnte sich an einen der hohen Felsen, die sich so abrupt aus dem Sand erhoben, und schloß die Augen.
Nun, sie hatte nicht erwartet, daß er dort weitermachen würde, wo er im Frachtraum der Seenebel aufgehört hatte. Schließlich hatte er eine Liaison mit der schönsten Frau von Cassori.
Doch, ich habe es erwartet, dachte sie. In Gedanken schalt sie sich: Du Närrin, warum sollte er …
Ein Schatten fiel über sie. Sie schrak zusammen, plötzlich wachsam.
Vor ihr stand Linden, jetzt voll bekleidet, bereit für die Rückfahrt nach Casna.
Sie wartete ab. Seine Hände kamen hoch, langsam, als geschähe es gegen seinen Willen. Kaum fähig zu atmen, stand sie nur zitternd da, als er ihr Gesicht in die Hände nahm.
Alles, was er sagte, war »Maurynna«. Leise, wie ein Gebet.
Das war genug.
29. KAPITEL
Ein Schrei zerstörte den Zauber des Augenblicks. Maurynna hielt die Luft an, als Linden herumwirbelte und in einer Geschwindigkeit losrannte, die kein Echtmensch erreichen konnte. Sie rannte ihm hinterher, stolperte aber immer wieder im weichen Sand.
Als sie um den Felsen bog, ließ der Anblick, der sich ihr bot, sie abrupt stehenbleiben. An den Klippen hingen Seile, an denen sich Männer hinunterhangelten.
Linden rief: »Maurynna, Otter – räumt den Strand!«
Das riß sie aus ihrer momentanen Lähmung. Sie rannte zu der Stelle, wo Maylin und Heilerin Tasha die Kinder aufklaubten. Otter kam aus der entgegengesetzten Richtung herbeigerannt. »Zum Wasser!« rief sie. »Zum Wasser!«
Sie riskierte einen Blick auf die Männer an den Seilen; sie hatten fast den Strand erreicht. Würde Linden sich rechtzeitig verwandeln können?
Dann war sie bei den anderen und eilte mit ihnen ins Wasser.
Linden sah über die Schulter. Maylin, Maurynna und Otter, der letztere mit Kella auf dem Arm, und Tasha, die Rann trug, standen bis zur Hüfte in den heranbrandenden Wellen. Ihre Gesichter waren von Furcht gezeichnet. Hinter ihnen sah
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