Drachenlord-Saga 02 - Drachenherz
Gesundheit es erlaubte. Manchmal stand Taren dort allein oder stützte sich auf einen Diener; meist war Raven bei ihm und lieh dem Kranken die Kraft seiner Jugend.
Einmal begegnete Linden Taren allein. Der Mann zitterte, seine Zähne klapperten, und er hatte den Umhang fest wie ein Leichentuch um seinen ausgemergelten Körper geschlungen. Er stützte sich schwer auf einen Stock.
»Ihr solltet im Bett sein«, meinte Linden besorgt, als er näher kam.
Der Mann drehte sich zu ihm um; er sah im schwindenden Tageslicht grau aus. »Ich muß sehen«, sagte er. »Ich muß wissen.«
Er wandte sich wieder ab. Der Wind peitschte zwischen ihnen hindurch; Linden wischte sich Kältetränen aus den Augen.
»Das ist meine Buße«, sagte Taren so leise, daß Linden nicht sicher war, ob er ihn verstanden hatte. Dann fügte Taren lauter hinzu: »Es werden viele bei dieser Sache sterben. Und es ist meine Schuld; mir war nicht klar …« Er schüttelte den Kopf.
Linden legte dem Mann die Hand auf die Schulter. »Sie werden zurückkehren«, sagte er mit einer Sicherheit, die er nicht wirklich spürte. »Und Pirakos wird bei ihnen sein. Ihr werdet schon sehen.«
»Ja«, erwiderte Taren. Seine Augen blitzten in dem schwächer werdenden Licht. »Ja. Wir werden sehen.«
Mit dem Vorrecht eines alten und getreuen Dieners betrat General V’Choun den Garten des ewigen Frühlings ungebeten und ging direkt zur Laube des Kaisers. Er deutete eine Verbeugung vor Xiane an, als der Phönixherrscher von dem Würfelspiel aufblickte, das er mit Yesuin begonnen hatte.
»Ihr seht so grimmig aus«, meinte Xiane überrascht.
»Das bin ich, Majestät. Hier, lest dies.« Er streckte Xiane ein paar gefaltete Briefe hin. »Pah-ko war zu verstört, sie auch nur zu siegeln.«
Neugierig griff Xiane nach den Briefen. V’Choun sah zu, wie das langgezogene Pferdegesicht seines Kaisers beim Lesen bleicher wurde. Ohne ein Wort reichte Xiane Yesuin die Botschaft weiter.
»Ein Angriff von … Drachen?« fragte Xiane. »Aber wie?« fuhr er verblüfft fort. »Die Drachen sind alle tot!«
»Majestät«, sagte V’Choun. »Nicht alle Drachen. Habt ihr nicht gelesen, daß jene Flügel hatten? Es sind Drachen aus dem Norden, die das Unrecht beheben wollen, das einem ihrer Art angetan wurde.«
Yesuin legte die Briefe auf den Tisch und sagte: »Xiane, wieviel mehr Beweise braucht Ihr noch? Ihr habt doch gelesen, wie viele Priester gestorben sind.«
»Das lag nicht an dem Kampf, in den sie verstrickt waren; Pah-ko hätte diese Macht leicht beherrschen können. Nein, das war der Phönix selbst, der die Gelegenheit nutzte, gegen jene anzukämpfen, die ihn gefangenhalten«, meinte Yesuin.
V’Choun seufzte. »Ich fürchte, ich muß ihm zustimmen, Herr. Pah-ko wagte nicht, es aufzuschreiben, aber ich kenne ihn lange, und ich kann lesen, was er nicht ausspricht. Es ist Zeit für den Tod des Phönix, Majestät, und der Phönix weiß es. Selbst ein solches Wesen muß dieselben Regeln befolgen wie alle.«
Und Yesuin fügte hinzu: »Ihr wißt, daß er recht hat.«
Xiane warf ihm einen gequälten Blick zu.
V’Choun sagte leise: »Wir haben auch andere Berichte aus dem Rest des Landes. Plötzliches Hochwasser, wo es nie Regen gab, Geister, die auf den Friedhöfen jammern, Erdbeben, Tempel, die einstürzen – und ausschließlich Tempel –, Quellen, aus denen Feuer oder Blut statt Wasser dringt und Schlimmeres. Und alles ist am Tag dieses Angriffs geschehen, Xiane.«
Kreidebleich erhob sich der Kaiser. »Ich muß darüber nachdenken«, sagte er und verließ die Laube. »Vetter, komm mit mir.«
Yesuin sprang auf, dann hielt er inne. Er wandte sich V’Choun zu und sagte: »Ihr wißt, was wir von ihm verlangen, nicht wahr?«
»Ja«, meinte V’Choun bedrückt. »Das Ende der Phönix-Dynastie. Seiner Dynastie. Ansonsten wird es das Ende von Jehanglan sein.«
»Ich weiß«, sagte Yesuin leise. »Aber Xahnu …« Er folgte Xiane in den Garten.
V’Choun setzte sich nieder und starrte die Würfel auf dem Tisch an, ohne sie wirklich zu sehen. Er wußte, was gebraucht wurde. Der Kaiser ebenfalls. Aber würde Xiane den Mut haben, den Fehler rückgängig zu machen, den sein Vater gemacht hatte?
Ein schmaler Sichelmond hing hoch am schwarzen Himmel. In dieser Nacht stand Merlet Kamenni Wache, entsprechend einer unausgesprochenen Abmachung der Drachenlords. Sie ging auf den Erkern auf und ab, schaute immer wieder nach Süden und drehte ihren dicken Zopf unruhig in der
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