Drachenlord-Saga 03 - Das Lied des Phönix
setzte sich aufrecht hin und fühlte sich so verblüfft, wie ihr Eunuch aussah.
Der Kaiser von Jehanglan war wie ein Tah’nehsieh-Barbar mit offenem Haar durch die Flure seines Palastes gelaufen? Was war geschehen? Seine Miene … Shei-Luin hatte Xiane nie zuvor traurig gesehen.
»Was ist denn?« wollte sie wissen. »Die Kinder …«
»Es geht ihnen gut«, sagte Xiane nachdrücklich. Zu Murohshei gewandt fügte er hinzu: »Raus.«
Murohshei blieb kaum noch lange genug, um sich zu verbeugen. Als sie allein waren, stand Shei-Luin auf. Sie sah, daß Xiane nicht einmal bemerkte, daß sie nackt war. Er setzte sich auf die Bettkante und starrte zu Boden.
Verwirrung kämpfte mit Sorge. Sie zog ein dünnes Hemd über und fragte: »Was ist los, Herr?«
Xiane holte tief Luft, bevor er antwortete. »Ich wollte es dir sagen, weil ich weiß, daß du und Yesuin als Kinder Freunde wart. Oduin muß tot sein. Jemand hat den Vertrag gebrochen.«
Und das bedeutete – ihre Knie wurden weich. Irgendwie gelang es ihr, sich wieder zum Bett zu bewegen. Sie setzte sich neben Xiane, unfähig, ein Wort zu sagen. Ihr Herz klopfte, und das Blut rauschte in ihren Ohren.
»Yemal hat den Vertrag gebrochen«, wiederholte er beinahe zu sich selbst. »Und so verliere ich meinen einzigen Freund.«
Shei-Luin schwankte, als die Welt um sie herum grau wurde. Irgendwie gelang es ihr, nicht ohnmächtig zu werden. »Yesuin?« flüsterte sie. »Yesuin ist tot?«
Xiane sah sie überrascht an. »Selbstverständlich nicht!« sagte er gereizt. »Habe ich nicht gerade gesagt, daß er mein Freund ist? Glaubst du, ich würde meinen Freund – meinen einzigen, wahren Freund – für die Taten eines anderen sterben lassen?«
Sie sagte leise: »Dann ist Yesuin …«
»Auf dem Weg zur Grenze, verkleidet als kaiserlicher Bote. Ich habe das alles schon vorbereitet, als ich von Oduins Krankheit hörte.«
Sie war vor Erleichterung überwältigt. Tief und bebend holte sie Luft. »Ihr habt für seine Flucht gesorgt? Selbst für Euch, Herr, ist das gefährlich. Es gibt Adlige, die wütend sein werden, wenn man ihnen ihre ›Rache‹ für das, was Yemal tut, genommen hat.«
Und Xiane hatte sich entschieden, ihnen zu trotzen, um der machtlosen, nutzlosen Geisel willen. Nein – um seines Freundes willen.
Beim Phönix, sie hätte nie geglaubt, daß sie Xiane oder etwas, was er getan hatte, einmal wirklich achten könnte. Sie hatte sich geirrt – sehr geirrt.
Impulsiv beugte sie sich vor und nahm sein Gesicht in die Hände. Als er sie überrascht ansah, küßte sie ihn – und zwar ehrlich.
Und es störte sie auch nicht, als er sie umarmte. Sie wußte, daß er getröstet werden wollte – mußte. In dieser Nacht würde sie ihm ihren Trost gerne gewähren.
Endlich – der Gang, der zu dem Schlafzimmer der Ersten Konkubine führte! Yesuin wurde langsamer und atmete durch den Mund, um so wenig Lärm wie möglich zu machen.
Aber was war das? Durch die kleinen Gucklöcher in der Wand fiel Licht. Shei-Luin schlief doch sicher schon?
Aber wenn sie wach war, konnte er bestimmt ihre Aufmerksamkeit … er drückte ein Auge gegen das nächste Guckloch.
Shei-Luin war wach. Xiane ebenso. Sie saßen nebeneinander auf der Bettkante und unterhielten sich miteinander, aber sie waren zu weit entfernt, als daß er ihre Worte verstehen konnte. Beide trugen leichte Gewänder gegen die Nachtkälte.
Plötzlich beugte Shei-Luin sich vor, nahm Xianes Gesicht zwischen beide Hände und küßte ihn.
Yesuin wandte sich ab. Er fühlte sich vollkommen leer. Er hatte ihre Miene gesehen; der Kuß war keine Täuschung.
Wieder begann er zu rennen, und es war ihm gleich, wer ihn hören würde. Er wußte, was er tun mußte.
Shei-Luin öffnete im Dunkeln die Augen und fragte sich, was sie geweckt hatte. Ein tiefes Seufzen von der anderen Seite des Bettes, und es war ihr klar. Sie stützte sich auf einen Ellbogen und drehte sich zu Xiane um, obwohl sie ihn nicht sehen konnte.
»Habe ich dich geweckt, kostbare Blüte?« wollte er wissen.
»Das macht nichts, Herr. Könnt Ihr nicht schlafen? Was ist denn?«
Ein weiterer Seufzer. »Ich träume immer wieder von Yesuin, und dann wache ich auf und frage mich, wie es ihm wohl ergangen ist.« Er schwieg einen Augenblick, dann fragte er: »Hast du je einen Freund verloren, Shei-Luin?«
Unerwartete Tränen traten ihr in die Augen. »Ja«, flüsterte sie leise. »Die einzige Frau außer meiner Schwester, die ich je als Freundin bezeichnet hätte.
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