Drachenmagier
Samahs
Abwesenheit jedoch fühlte Alfred sich freier. Meistens blieb
Orla zurück, um
ihm Gesellschaft zu leisten, was er sehr genoß,
außerdem gebärdete sich sein
Quälgeist dann nicht annähernd so
aufdringlich wie bei den seltenen
Gelegenheiten, wenn er sich selbst überlassen war. Nie kam
Alfred auf den Gedanken,
sich zu wundern, daß man ihn kaum mehr allein
ließ, oder daß Orla nicht ebenso
wie Samah zu Ratsversammlungen gerufen wurde. Er dachte nur,
daß es lieb von
ihr war, ihm soviel Zeit zu opfern, und fühlte sich
deshalb um so elender,
wenn das Phantom der Bibliothek ihn wieder einmal in den Klauen hatte.
Alfred und Orla saßen
auf der Terrasse, Orla mit einem von Samahs
Gewändern, über dem sie die Schirmungsrunen
sang und gleichzeitig mit den Fingerspitzen auf den Stoff
zeichnete. In jedes
Sigel legte sie die ganze Liebe und Achtung, die sie für ihren
Gemahl empfand.
Alfred sah ihr zu, und
ein Gefühl der Traurigkeit ergriff von ihm Besitz.
Für ihn hatte nie eine Frau
die Schirmungsrunen gesungen, und jetzt, wo er alt war, würde
es auch künftig
keine mehr tun. Jedenfalls nicht die, die er sich wünschte.
Aus heiterem Himmel
überfiel ihn eine heftige Eifersucht auf Samah. Alfred
mißbilligte die Art, wie
der Archont seine Frau behandelte, so kalt und gefühllos. Er
wußte, Orla war
verletzt, er hatte beobachtet, wie sie schweigend litt. Nein,
Samah war nicht
gut genug für sie.
Ich
etwa? fragte er sich
bekümmert.
Orla hob lächelnd den
Blick von ihrer Arbeit und schien das ins Stocken geratene
Gespräch über die
Pflege von Rosensträuchern fortsetzen zu wollen. Alfred war
nicht fähig, den
wuchernden Dornenverhau seiner infamen, niederträchtigen
Gedanken noch rechtzeitig
verschwinden zu lassen und sich den
Bekämpfungsmethoden von Blattläusen
zuzuwenden. Orlas Lächeln erlosch. Seufzend
ließ sie die Arbeit ins den Schoß
sinken.
»Ich wünschte, du
würdest uns beiden nicht unnötig Schmerz
zufügen.«
»Es tut mir leid.« Alfred
sah so elend aus, wie er sich fühlte. Unwillkürlich
tastete er nach dem Hund,
der offenbar seinen Kummer spürte und
Mitgefühl bezeugte, indem er ihm den
Kopf aufs Knie legte.
»Ich muß einen ganz
und gar verderbten Charakter haben. Kein wahrer Sartan würde
sich je dermaßen
vergessen. Wie dein Mann sagt – der Umgang mit den Nichtigen
hat mich
verdorben.«
»Mit den Nichtigen?«
Orlas vielsagender Blick streifte den Hund.
»Du denkst an Haplo.«
Alfred kraulte dem Hund die Ohren. »Es wird dich
überraschen, aber die Patryn
sind durchaus nicht unfähig zu lieben, im
Gegenteil.«
Er sah den Hund an und
bemerkte nicht den Ausdruck befremdeter Verwunderung auf Orlas Gesicht.
»Sie leugnen
selbstverständlich, daß es Liebe ist, nennen es
Loyalität, Beschützerinstinkt,
der den Fortbestand der Art sichert, weil auf sich allein
gestellt im
Labyrinth keiner überleben könnte. Ungeachtet dessen
ist es Liebe, eine dunkle
Spielart der Liebe zwar, aber dennoch Liebe, die selbst der
Hartgesottenste
unter ihnen empfindet. Der Herrscher des Nexus, ein grausamer,
mächtiger und
ehrgeiziger Mann, setzt täglich sein eigenes Leben aufs Spiel,
um seinem
bedrängten Volk beizustehen.«
Von seinen Gefühlen
davongetragen, vergaß Alfred, wo er sich befand. Wie
hypnotisiert starrte er in
die Augen des Hundes und sah durch sie hindurch in eine andere Welt,
die immer
deutlichere Konturen annahm, bis er die Wirklichkeit um sich herum
vergaß.
»Meine eigenen Eltern
haben ihr Leben für mich geopfert, als die Snogs uns
verfolgten. Ihnen wäre es
wohl gelungen zu entkommen, aber ich war noch ein Kind und konnte nicht
Schritt
halten. Deshalb versteckten sie mich und lockten die Snogs auf ihre
Fährte. Ich
sah meine Eltern sterben, von den Snogs zu Tode gequält.
Später fanden mich fremde
Siedler, bei denen ich aufwuchs als einer der
Ihren.«
Die Augen des Hundes
bekamen einen weichen, traurigen Schimmer. »Und ich
habe geliebt«, hörte
Alfred sich weitersprechen. »Sie war Läufer, wie ich
selbst, wie meine Eltern.
Die blauen Runen überzogen ihren Körper, in dem ich
Jugend und Lebendigkeit
pulsieren fühlte, wenn wir uns nachts umarmten. Wir
kämpften Schulter an
Schulter, wir liebten und lachten. Ja, sogar im Labyrinth hört
man Lachen, wenn
auch selten. Meistens ist es ein bitteres Lachen,
über düstere, grimmige
Spaße, aber nicht mehr lachen zu können
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