Drachenmagier
Ihre dunklen Augen bekamen einen mitleidigen Schimmer.
»Wir müssen ihm
helfen.« Sie faßte nach dem Handlauf des
Niedergangs, um zu Deck 2
hinaufzusteigen. »Wir holen ihn an Bord. Er braucht
Wärme und etwas zu essen.«
Sie schaute sich um und sah, daß wir uns nicht
rührten. »Nun kommt schon! Er
ist bestimmt ziemlich schwer. Allein schaffe ich das nicht.«
Menschen. Immer gleich
handeln, etwas tun, ohne erst zu überlegen. Zu ihrem
Glück hatte sie eine Zwergin
dabei.
»Alake, warte. Einen
Augenblick. Hast du vergessen, wohin wir unterwegs sind? Hast du
vergessen, was
uns bevorsteht?«
Alake runzelte die
Stirn, sie ärgerte sich über meine Einwände.
»Ja und? Der Mann stirbt. Wir
können ihn nicht einfach seinem Schicksal
überlassen.«
»Es wäre vielleicht
gnädiger«, sagte Devon leise. »Wenn wir
ihn jetzt retten, dann womöglich nur,
damit er später mit uns einen noch viel grausameren Tod
erleidet.«
Es tat mir leid, so
unverblümt sprechen zu müssen, aber manchmal ist es
die einzige Möglichkeit,
Menschen etwas begreiflich zu machen. Alake schien förmlich in
sich
zusammenzusinken. Sie schlug die Augen nieder und strich
geistesabwesend mit
der Hand über die hölzernen Sprossen der
Leiter.
Das Schiff machte
unvermindert Fahrt, bald würden wir den Mann weit hinter uns
gelassen haben. Er
merkte es offenbar und schickte sich unter Auferbietung all
seiner
schwindenden Kräfte an, uns nachzuschwimmen. Der Anblick war
herzzerreißend.
Ich wandte mich ab, doch wie nicht anders zu erwarten war, siegte bei
Alake das
Herz über den Verstand.
»Der Eine hat ihn
gesandt«, sagte sie und begann entschlossen, die Leiter
hinaufzusteigen. »Er
hat ihn gesandt als Antwort auf mein Gebet. Wir müssen ihn
retten!«
»Du hast um einen
Delphin gebetet!« erinnerte ich sie, nun meinerseits gereizt.
Alake warf mir einen
tadelnden Blick zu. »Die Wege des Einen sind unerforschlich,
Grundel, das weißt
du auch. Kannst du mit dieser Schleuse umgehen?«
»Schon, aber ich werde
Devons Hilfe brauchen«, brummte ich und folgte ihr.
Ehrlich gesagt, wäre
ich ganz gut alleine zurechtgekommen, denn ich war
stärker als der Elfenprinz,
aber ich wollte mit ihm reden. Nachdem ich Alake aufgetragen
hatte, den
Schiffbrüchigen im Auge zu behalten, winkte ich Devon zu mir.
Ich spähte durch
das Fenster im oberen Teil der Schleuse ins sonnendurchflutete
Innere und
drehte den Hebel an der Luke, um mich zu vergewissern, daß
sie fest geschlossen
und dicht war. Devon bemühte sich, mir zu helfen.
»Und wenn nicht der
Eine diesen Kerl gesandt hat?« flüsterte ich ihm zu.
»Wenn er ein Spitzel der
Drachen-schlangen ist?«
Devon schaute mich
bestürzt an. »Hältst du das
wirklich für denkbar?« fragte er. Er wollte
überall mit zugreifen und geriet mir trotz seiner
löblichen Absichten ständig
in die Quere.
Ich schob ihn zur
Seite. »Du etwa nicht?«
»Vielleicht. Aber wozu
ein Spitzel? Sie haben uns. Wir können nicht entkommen, selbst
wenn wir es
wollten.«
»Weiß man, was in den
Köpfen dieser Biester vorgeht? Ich finde jedenfalls,
wir sollten nicht gleich
zu vertrauensselig gegenüber diesem Menschen sein, falls er
wirklich ein Mensch
ist. Und ich glaube, du solltest besser wieder in deine Rolle als Sabia
schlüpfen.«
Ich drehte mich um und
stieg den Niedergang hinunter. Devon kam mir nach, wobei er
über seine Röcke
stolperte.
»Ja, du magst recht
haben. Aber was ist mit Alake? Sie muß mitspielen. Du
mußt ihr Bescheid sagen.«
»O nein, nicht ich.
Sie würde bloß denken, daß ich nach einem
neuen Vorwand suche, ihren Schützling
loszuwerden. Du wirst es ihr sagen. Auf dich hört sie. Geh
schon. Ich komme
hier alleine zurecht.«
Wir standen wieder auf
Deck 1. Devon trat zu Alake, und ich hatte endlich freie Hand bei
meiner
Rettungsaktion. Was sie sprachen, konnte ich nicht verstehen,
aber man sah,
daß Alake zuerst nicht einverstanden war, denn sie
schüttelte so energisch den
Kopf, daß ihre Ohrringe klirrten.
Devon redete weiter
auf sie ein, und allmählich gab sie nach. Erst warf sie einen
Blick auf mich,
dann auf den Mann draußen. Schließlich nickte sie
unglücklich.
Vor dem unteren
Sichtfenster stehend, griff ich nach den Hebeln und drückte
sie nach unten.
Eine Luke in der Bordwand öffnete sich. Wasser
strömte brodelnd herein,
schwemmte etliche mißvergnügte Fische
(keinen einzigen Delphin!) mit
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