Drachenmeister
das steht fest. Ich bin zwar seine Gesellin, aber ich weiß auch nicht immer, was in ihm vorgeht. Ebenso wenig wie Sebell.«
Sie hatten den Torbogen erreicht und wandten sich der Festwiese zu.
»Soll ich etwa auf einem Drachen reiten?«, fragte Piemur. Er blieb wie angewurzelt stehen und starrte die Szene an, die sich ihm bot. Der Bronzedrache Lioth hatte seine Schwingen in der Sonne gespreizt und betrachtete die Kapriolen der Feuerechsen. Seine großen Augen glitzerten blaugrün. Sebell und N’ton, der Weyrführer von Fort, sahen neben dem Koloss winzig aus.
»Beeil dich, Piemur! Wir wollen niemanden warten lassen. Das Fest auf Igen ist bereits in vollem Gange.«
Piemur streifte seine Wherlederjacke über und blieb ein Stück hinter Menolly, angeblich weil er mit den Verschlüssen nicht zurechtkam. In Wirklichkeit musste er sich erst einmal damit vertraut machen, dass er einen Drachen besteigen durfte. Er war zugleich entsetzt und begeistert. Pah, diese Schwachköpfe droben auf den Trommelhöhen! Er hoffte nur, dass sie mitbekamen, wie er sich auf Drachenschwingen in die Lüfte erhob! Das würde sie lehren, seinen Ruf zu untergraben! Er verdrängte den zaghaften Gedanken, dass solche Vorrechte ihm das Leben noch härter machen könnten. Wichtig war nur das Jetzt! Er, Piemur, würde auf einem Drachen reiten!
N’ton war stets Piemurs Ideal eines Drachenreiters gewesen:
hochgewachsen, mit kräftigen breiten Schultern, dunklem Haar, das sich widerspenstig unter dem Reithelm kringelte, und einer lässigen, selbstbewussten Haltung, die sich in seinem offenen Blick und dem freundlichen Lächeln widerspiegelte. Der Gegensatz zwischen dem jetzigen Weyrführer von Fort und seinem mürrischen Vorgänger T’ron zeigte sich umso klarer, als N’ton den Harfnerlehrling ohne jede Arroganz begrüßte.
»Wie schade, dass du ausgerechnet jetzt deinen Stimmbruch bekommen musstest, Piemur! Ich hatte mich schon auf Baron Groghes Fest gefreut. Menolly schwärmt seit Wochen von der neuen Ballade. Bist du schon mal auf einem Drachen geritten, Piemur? Nein? Dann pass gut auf, wie Menolly das macht!«
Die Harfnerin ergriff den Haltegurt, stemmte sich mit einem Bein gegen Lioths Schulter und schwang das andere geschickt über den Nackenwulst des großen Drachen. Piemur konnte sein Glück immer noch nicht begreifen. Er, ein einfacher Lehrling, sollte auf N’tons Bronzedrachen fliegen!
»Hast du’s gesehen? Gut. Dann hinauf mit dir, mein Junge!« Sebell gab ihm einen kleinen Schubs und Menolly streckte ihm die Hand entgegen. Es schien ein weiter Weg nach oben.
Piemur ergriff den Gurt, zögerte aber, sich in die weiche Haut von Lioths Schulter einzustemmen.
N’ton lachte. »Nein, deine Stiefel tun Lioth nicht weh. Aber er bedankt sich, dass du an sein Wohl denkst.«
Piemur war so verwirrt, dass er beinahe wieder losgelassen hätte.
»Hierher, Piemur!«, befahl Menolly.
»Ich wusste nicht, dass er meine Gedanken lesen kann«, murmelte er, als er endlich oben saß.
»Drachen bestimmen selbst, welche Gedanken sie aufnehmen und welche nicht«, meinte Menolly lachend. »Rutsch ein Stück nach hinten und lehn dich gegen mich! Sebell muss noch vor dir Platz finden!«
Kaum hatte sie das gesagt, da schwang sich Sebell auch schon mit der kraftvollen Eleganz jahrelanger Übung auf Lioth. N’ton folgte ihm und reichte die Haltegurte nach hinten. Piemur fand das eine unnötige Vorsichtsmaßnahme. Er saß so eng eingekeilt zwischen Menolly und Sebell, dass er sich ohnehin nicht rühren konnte. Dann drehte sich Sebell nach ihm um und sagte: »Du hast sicher schon eine Menge über das Dazwischen gehört, aber ich warne dich: Es ist unheimlich, auch wenn man weiß, was einen erwartet.«
»Das stimmt, Piemur«, bekräftigte Menolly und umklammerte ihn von hinten. »Aber ich halte dich fest und du kannst dich auch bei Sebell abstützen.«
»Du fühlst nichts, sobald wir im Dazwischen sind«, fuhr Sebell fort. »Im Dazwischen ist nichts außer Kälte. Du wirst weder Lioth noch unsere Nähe spüren. Aber das dauert nur einige Herzschläge lang. Zähl sie! Das Pochen ist laut genug. Wir tun das Gleiche, das versichere ich dir.« Sebell blinzelte ihm zu, und Piemur verstand, dass der Harfner ihm seine ängstliche Miene nicht übel nahm.
Piemur nickte stumm. Es war ihm gleichgültig, was im Dazwischen geschah. Zumindest konnte er später sagen, dass er diesen Zustand kannte - im Gegensatz zu den meisten anderen Lehrlingen.
Unvermittelt
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