Drachenmeister
seiner Angst verriet. Unvermittelt legte der Bronzedrache die Schwingen an und landete weich in den dichten Schatten.
»Lioth sagt, dass in der Nähe Leute die Straße entlangkommen, Piemur«, flüsterte N’ton. »Gib mir deine Reitsachen!«
»Sebell vielleicht?«, entgegnete Piemur, während er Helm und Jacke abstreifte und N’ton überreichte.
»Nein, aber er kann auch nicht mehr weit entfernt sein. Lioth spürt Kimi.«
»Kimi?« Piemur war so verblüfft, dass er lauter als beabsichtigt sprach, und er zuckte zusammen, als N’ton warnend die Hand hob. »Vergiss nicht, dass es hier in Nabol mehr als genug Feuerechsen gibt«, wisperte N’ton. »Da fällt Kimi nicht weiter auf.«
Missmut spiegelte sich einen Moment lang in seinen Zügen. Dann spürte Piemur, wie sich kräftige Finger um sein Handgelenk schlossen, und er schwang sich gehorsam von Lioths Nacken in die Tiefe. Er landete auf den Knien. Als er sich wieder aufrichtete, tätschelte er die Schulter des Bronzedrachen, zog aber gleich darauf die Hand zurück, aus Angst, N’ton könnte sein Benehmen missbilligen.
»Viel Glück, Piemur«, rief ihm N’ton mit gedämpfter Stimme zu.
Piemur trat einen Schritt zurück und wandte das Gesicht ab, als Lioth wieder in die Lüfte stieg. Eine Sandwolke prasselte auf ihn nieder.
Sobald sich seine Augen an das Grau gewöhnt hatten, erkannte Piemur die gewundene Straße. Er pfiff leise durch die Zähne. Der Drache hatte sich die einzige flache Stelle weit und breit zum Landen ausgesucht. Piemurs Achtung vor den Fähigkeiten der Drachen wuchs wieder einmal um ein gewaltiges Stück.
Stimmen drangen an sein Ohr und gelegentlich sah er den Schein von schaukelnden Leuchtkörben. Karrenräder quietschten, und er hörte das vertraute Scharren der Lasttiere, die mit breiten, flachen Hufen über den Boden schlurften. Piemur sah sich nach einem geeigneten Versteck um. Es gab eine Reihe von Felsblöcken und Gesteinsvorsprüngen, und er wählte einen gut abgeschirmten Platz, von dem er die Straße gut beobachten konnte, ohne gleich selbst entdeckt zu werden. Er ging in die Hocke und wartete.
Ein Zetern schreckte ihn aus seinen friedlichen Gedankengängen. Er zuckte zusammen und entdeckte drei glitzernde Augenpaare, die ihn aus dem Halbdunkel anleuchteten.
»He, verschwindet, ihr albernen Biester! Ich bin nicht da, verstanden?« Um seine Worte zu beweisen, schloss er die Augen und konzentrierte die Gedanken auf die furchtbare Leere des Dazwischen.
Die Feuerechsen reagierten mit Panik.
»Was is’n mit denen los?«, hörte Piemur eine grobe Männerstimme, die das Knarren der Wagenräder und das Schlurfen der Herdentiere übertönte.
»Weiß ich doch nicht. Is auch egal. Jetzt sind wir gleich in Nabol.« Piemur verstärkte seine Gedanken an das Dazwischen und die Echsen ergriffen die Flucht. Er atmete tief durch. An das absolute Nichts zu denken, erforderte sehr viel mehr Kraft, als sich ein bestimmtes Bild vorzustellen. Er fand, dass eine Menge Karren unterwegs waren; immerhin wurde zur gleichen Zeit auf Burg Fort ein großes Fest eröffnet, das viele Besucher anzog. Piemur machte die Augen auf; das Grau des Morgens wurde durchlässiger, und er sah die vielen Echsen, welche die Karawane umschwirrten. Dabei waren diese Männer einfache Fuhrleute! Kleinbauern! Selbst nachdem die Wagen mit ihren schaukelnden Lichtern längst weitergezogen waren, erhitzte der Zorn über diese Ungerechtigkeit immer noch Piemurs Gemüt.
Eine kühle Morgenbrise kam auf und Piemur wartete mit wachsender Ungeduld auf Sebells Erscheinen. Er versuchte, sich zur Ruhe zu zwingen. Schließlich befand er sich nicht zum ersten Mal allein im Morgengrauen! Wie oft hatte er nachts die Herden seines Vaters bewacht! Sicher, die Hütte seiner Eltern hatte in Rufweite gestanden, aber die letzten Stunden bis zum Sonnenaufgang waren meist quälend langsam verstrichen. Und wenn nun Sebell etwas zugestoßen war? Oder wenn ihn etwas Unvorhergesehenes aufhielt? Sollte Piemur dann allein nach Nabol gehen? Und wie kam er wieder in die Harfnerhalle zurück? Er hatte vergessen, den Weyrführer von Fort danach zu fragen. Nun wusste er nicht einmal, ob N’ton ihn wieder abholen würde oder ob er den Heimweg zu Fuß antreten sollte. Hatte Sebell die Absicht, die Herde während ihres Aufenthalts zu verkaufen? Oder mussten sie die Tiere wieder nach Ruatha treiben? Es gab eine Menge Einzelheiten, die Sebell ihm nicht
verraten hatte; fest stand nur, dass sie sich so
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