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Drachenmonat

Drachenmonat

Titel: Drachenmonat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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war.
    Jetzt bewegten sich meine Füße wieder, in den Hausflur hinein und die Treppen hinauf.
    Jetzt stand ich im dritten Stock vor Kerstins Tür. Darauf stand nur der Nachname. Drinnen war alles still.
    Warum stehe ich hier, dachte ich wieder.
    An der Tür waren Spuren, als hätte jemand ein Stemmeisen hineingerammt.
    Die Treppenhausbeleuchtung erlosch. Ich sah einen Lichtstreifen unter der Tür. Zu hören war immer noch nichts. Ich ging zum Lichtschalter, der wie ein rotes Auge zwinkerte. Es wurde wieder hell, ich kehrte zur Tür zurück und drückte auf den Klingelknopf, aber es blieb still. Ich drückte noch einmal. Die Klingel blieb stumm. Ich beschloss zu gehen. Die nicht funktionierende Klingel hielt ich für ein Zeichen, dass ich nicht hier sein sollte. In dem Moment, als ich mich umdrehte, wurde die Tür geöffnet.
    »Kenny?!« Es klang wie eine Frage und Ausruf zugleich.
    Sie sah mich dort stehen, begriff aber natürlich nicht, warum ich dort stand. Sie hatte einen Abfallbeutel auf dem Arm.
    »Kenny, was machst du hier?«
    »Ich … weiß es nicht.«
    »Du weißt es nicht? Bist du Schlafwandler?«
    »Nein.«
    Sie kam ins Treppenhaus und schob die Tür mit der Schulter zu.
    »Ich will gerade den Müll runterbringen.«
    »Ich komme mit«, sagte ich. »Du willst hier also nicht mehr stehen?«
    »Ich könnte es erklären, aber das wäre nicht gut«, sagte ich und begann, die Treppen hinunterzugehen.
     
    Auf dem Nachbarhof bellte und jaulte ein Hund. Zwischen den Höfen war ein hoher Bretterzaun. Es hörte sich an, als würde sich der Hund gegen die Latten werfen. Zu sehen war er nicht.
    »Das ist Zack«, sagte Kerstin.
    »Läuft er frei herum?«
    »Nein, aber seine Hütte ist genau auf der anderen Seite des Zaunes.«
    »Tobt der so die ganzen Nächte hindurch?«
    »Nur, wenn Leute kommen.«
    »Es kommen doch dauernd Leute?«
    »Nachts nicht. Er ist ein guter Schutz gegen Einbrecher.«
    »Tauchen hier denn Einbrecher auf?«
    »Nein, hier gibt’s ja nicht so viel zu stehlen.« Wir standen vor dem Abfalleimer. Ich öffnete den Deckel. Die Tonne war fast voll. Kerstin legte den Müllbeutel hinein, und ich klappte den Deckel herunter, der sich gerade noch schließen ließ. Bei dem nächsten Beutel würde er das nicht mehr tun. Es roch süßsäuerlich, wie vergammelter Rhabarber. Der Hof war klein, und es war nicht viel zu sehen. Vielleicht gab es hinter der Tonne eine Klopfstange. Zack heulte wieder. Es klang wie das Heulen eines Wolfes, der sich in die Stadt verirrt hatte und zurück in die Natur sehnte.
    »Warum bist du gekommen?«, fragte Kerstin.
    »Das ist… schwer zu erklären. Ich wollte nur ein bisschen rumlaufen, und da sind meine Füße von ganz allein über die Brücke gegangen.«
    »Das klingt ja wie eine Krankheit.«
    »Und die heißt Gehkrankheit.«
    »Hast du die schon mal gehabt?«
    »Es ist das erste Mal.«
    Sie sah zu dem Bretterzaun. Zack war jetzt still, so als ob er auch gern wissen wollte, wie ich hierhergeraten war. Vielleicht drückte er sich dicht an das Holz und hörte zu.
    »Ich will nicht, dass du mich zu Hause besuchst.« Sie sah mich an.
    »Warum nicht?«
    Sie antwortete nicht.
    »Jetzt bin ich jedenfalls da«, sagte ich.
    »Dann kannst du ja wieder gehen.«
    »Ich dachte, weil du bei mir zu Hause warst, könnte ich dich auch mal besuchen.«
    »Um neun Uhr abends?«
    »Es ist noch keine neun.«
    »Aber bald, und es ist Abend. Wir gehen jetzt schlafen.«
    »So früh?«
    Sie antwortete nicht.
    »Geht ihr zusammen mit deinem kleinen Bruder schon um neun Uhr schlafen?«
    Da begann sie zu weinen. Sie wischte sich mit dem Pulloverärmel über die Augen.
    Ich schwieg.
    Sie sah mich an.
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. »Kerstin?«, ertönte ein Ruf über den Hof. Zack begann wieder zu bellen. »Kerstin? Kerstin!?« Das musste ihre Mutter sein. »KERSTIN? Was machst du?«
    Ich schaute noch oben. An einem geöffneten Fenster im obersten Stock war ein verschwommenes Gesicht zu sehen.
    »Kerstin? Was machst du da unten?«
    Ich glaube nicht, dass wir zu sehen waren. Die Abfalltonne stand in der dunkelsten Ecke auf dem Hof.
    »Das ist Mama«, sagte Kerstin leise. »Sie will, dass ich raufkomme.«
    »Das hört man.«
    Sie setzte sich in Bewegung.
    »KERSTIN!?«
    »Ich komme!«, rief Kerstin, ohne den Kopf zu heben. »Ich hab grad den Beutel weggeworfen.«
    Ihre Mutter rief noch etwas, das ich nicht verstand, und dann wurde das Fenster mit einem Knall geschlossen. Zack heulte wieder. Im

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