Drachenmonat
Kopf.
»Kerstin?«
Sie saß immer noch mit gesenktem Kopf da, ohne sich zu rühren. »Kerstin? Was ist?«
Ich hatte schon einen Fuß außerhalb des Autos.
Plötzlich riss sie den Kopf hoch, legte den Rückwärtsgang ein und drehte mit fast derselben Bewegung, und ehe ich ausweichen konnte, knallte sie wieder in mein Auto.
»Warum trägst du ein Schwert?«, fragte Mister Swing.
Wir saßen vor seinem Wohnwagen. Alle, die hier arbeiteten, schienen in einem Wohnwagen zu leben.
Mister Swing hatte uns zu einem Glas Saft eingeladen. Mein Glas war ein bisschen schmutzig am Rand, aber das machte nichts. Ich hatte Durst, und der Saft schmeckte gut.
»Ich bin Samurai.«
»Du siehst aber nicht aus wie ein Japaner.«
»Man kann trotzdem Samurai sein. Man kann sich selbst zum Samurai erklären.«
Er sah mich an, als wollte er noch etwas sagen, dann wanderte sein Blick zu Kerstin.
»Bist du auch Samurai?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Kerstin. »Wahrscheinlich noch nicht.«
»Hast du dich nicht zum Samurai erklärt?«
»Nein.«
Mister Swing sah mich wieder an.
»Warum trägst du zwei Schwerter?«
»Das machen alle Samurais«, antwortete ich. »Das nennt man Daisho und bedeutet groß und klein.«
»Darf ich mir die mal ansehen?«, sagte Mister Swing.
»Wenn man Samurai ist, darf man sein Schwert nicht weggeben«, sagte ich. »Das ist verboten.«
»Ich nehm sie dir nicht weg. Ich möchte sie mir nur anschauen.«
Ich nahm mein Katana und mein Wakizashi ab und legte sie auf den Campingtisch zwischen uns.
»Gar nicht schlecht«, sagte Mister Swing. »Hast du sie selber gemacht?«
Ich nickte.
»Ich habe auch zwei Schwerter«, sagte er. »Aber die sind beide ziemlich lang.« Er stand auf. »Ich kann sie holen.«
Er ging in den Wohnwagen.
»Er ist Schwertschlucker«, sagte ich.
»Schluckt er das Schwert wirklich?«
»Ja, das machen Schwertschlucker.«
Kerstin betrachtete meine Schwerter.
»Dann könnte er deine also aufessen?«
»Von denen wird er nicht satt«, sagte ich.
»Vielleicht ist er gefährlich«, sagte Kerstin und warf einen Blick auf den Wohnwagen. Mister Swing hatte die Tür hinter sich zugezogen.
»Nicht gefährlicher als du«, sagte ich.
»Hab ich dich verletzt, Kenny, weil ich gesagt habe, dass ich noch kein richtiger Samurai bin?«
»Du hast mich nur fast verletzt, als du mich gerammt hast.«
»Das hat Spaß gemacht. Ich mag Autoscooter fahren.«
»Vielleicht kriegst du einen Job als Rammer.«
Mister Swing öffnete die Tür und kam die Treppe herunter. Er hielt zwei Schwerter in der Hand, die genauso lang zu sein schienen wie er.
»Was sagt ihr dazu?«, fragte er.
»Die sehen ja aus wie richtige Kampfschwerter«, sagte ich.
»Die hab ich in Arabien gekauft.«
»Ist das wahr?«
»Natürlich.«
»Stammen Sie aus Arabien?«, fragte Kerstin. »Ja.«
»Sind Sie in einem Beduinenzelt aufgewachsen?«, fragte ich.
»Natürlich«, sagte Mister Swing.
»Sind Sie Schwertschlucker?«, fragte Kerstin.
»Ja.«
»Das geht doch gar nicht.«
Kerstin maß die Schwerter mit den Augen. Mister Swing hatte sie neben meine auf den Tisch gelegt. Mein Katana war nicht einmal halb so lang wie Mister Swings Schwert. »Das kann kein Mensch.«
Mister Swing deutete mit dem Kopf zum Tisch.
»Die da sind gar nichts. Da hättet ihr mal in Arabien dabei sein sollen. Die Schwerter dort sind eine richtige Herausforderung für Schwertschlucker. Die meisten Schwerter sind nämlich gebogen wie eine Mondsichel.« Er beugte sich über mein Katana.
»Das hier sieht nur wie eine kleine Vorspeise aus, aber es könnte kompliziert werden. Es wirkt ziemlich scharf.«
»Das Wakizashi ist noch schärfer«, sagte ich. »Wozu benutzt man das?«
»Damit haben die Samurais ihren Gegnern den Kopf abgeschnitten«, sagte ich. »Und mit dem Wakizashi beging man Harakiri.«
»Oh, oh, Harakiri. Davon hat man ja schon gehört. Ich hoffe, du wirst nicht so ein Samurai, der andere umbringt oder gar sich selbst«, sagte Mister Swing.
Er sah auf das Wakizashi.
»Der Unterschied zwischen mir und den Samurais besteht darin, dass ich das Schwert durch den Hals in den Magen führe«, sagte er. »Das ist gesünder.«
»Haben Sie sich noch nie verletzt?«, fragte Kerstin.
»Schon, aber nicht beim Schwertschlucken.«
»Wobei denn?«
»Manchmal tut mir das Zahnfleisch weh, wenn ich auf Glas gekaut habe«, antwortete er.
Wir schwiegen. Was sollte man auch mit jemandem reden, der auf Glas kaute. Ihn fragen, welche Glassorte
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