Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow
drückte ihr einen lüsternen Kuss auf die Lippen. Loj ließ es gleichgültig über sich ergehen und fragte, als sie wieder sprechen konnte: »Und wie geht es weiter?«
Offensichtlich glaubte der Reiter, dass sie seinen Reizen bereits vollständig erlegen sei. Er blickte sich um und
murmelte: »In der Toilette ist es ja nicht sehr romantisch …«
»Das wollen wir doch mal sehen«, sagte Loj. Wer sie gut kannte, hätte die Intonation ihrer Stimme zu deuten gewusst und schleunigst Reißaus genommen. Aber der Reiter hatte keine Ahnung.
Als der Mann eine halbe Stunde später wieder aus der Toilettenkabine auftauchte – Loj drehte in dieser Zeit eine Runde im Nachbarwagen -, war er nass, aber immerhin fast sauber. Und was sind für einen solchen Helden schon ein Bluterguss unter dem Auge und ein paar Kratzer am Hals. Loj blickte dem Krieger neugierig entgegen, als er zurückkam. Hatte sie ihn etwa zu leicht davonkommen lassen?
»Zürnen Sie mir nicht.« Der Reiter verbeugte sich knapp und ging zum anderen Ende des Korridors. In Gedanken musste Loj ihm Beifall zollen. Er verstand es, zu verlieren, und hielt es nicht für schändlich, zuzugeben, dass ein junges Mädchen kräftiger war als er. Alle Achtung. Nun gut, sollte das Schicksal sie noch einmal zusammenführen … vielleicht würde ihre Begegnung ja dann ein anderes Ende nehmen.
Ihre beiden Nachbarinnen blickten sie wohlwollend an. Loj schloss die Augen und begann nachzudenken. Durch die unterhaltsame kleine Begebenheit hatte sie ihr Selbstvertrauen wiedergewonnen … auch wenn sie Torn kaum kopfüber ins Toilettenbecken würde stecken können. Trotzdem hatte sich ihre Laune deutlich gebessert. Man konnte sich jeden Mann gefügig machen. Das Wichtigste war dabei, die Balance zwischen Stärke und Schwäche zu wahren, zwischen Druck und Nachgiebigkeit.
Die übrige Reise verlief ohne weitere Zwischenfälle. Einige Male hielt der Zug an kleineren Stationen, Leute stiegen aus und ein, Händler eilten durch den Wagen und priesen
ihr süßes Wasser, ihre schneeweißen Teigtaschen und Nussstangen an. Aber Loj wollte weder essen noch trinken. Sie war in Gedanken versunken und versuchte alle möglichen Reaktionen Torns vorherzusehen, um auf diese Weise eine Verhaltensstrategie zu entwerfen, die sie schließlich zum Sieg führen würde. Vermutlich würde sich das am Ende als nutzlos erweisen, aber andererseits war eine kleine Übung für den Geist nie überflüssig.
Später wurde es unruhig im Wagen, die Reisenden begannen ihre Sachen zusammenzusuchen. Der Zug hatte endlich die Gebirgshochebene hinter sich gebracht und das Meer erreicht und fuhr jetzt entlang der Küste. Durch die geöffneten Fenster drang ein salziger Wind herein, der nach Jod roch. Loj runzelte kaum merklich die Stirn. Unter halb geschlossenen Lidern hervor beobachtete sie, wie sie in Stopolje einfuhren.
Schön war die alte Stadt am Meeresufer schon immer gewesen, auch schon bevor die Clans gekommen waren. Ganz gleich, in wessen Händen sie sich befunden hatte, schon immer hatte dieser Ort die Menschen angelockt, Seeleute mit seinem Reichtum, einfache Siedler mit seinem fruchtbaren Boden, der die wunderbarsten Weinreben hervorbrachte, und die Fürsten und Statthalter mit seiner großartigen Landschaft.
Aber in den letzten Jahrhunderten, seit die Stadt vom Clan des Wassers regiert wurde, hatten alle Versuche, die Stadt zu erobern, ein Ende gefunden. Die anderen Clans erhoben keinen Anspruch mehr darauf, sie für sich zu erobern; denn selbst wenn sie das vermocht hätten, wer hätte in dieser Stadt leben wollen, nachdem …
Denn erst die Magie, die aus dem Erdinnern artesische Wasser hervorlockte und den Lauf des Flusses zu verändern
vermochte, erst diese Magie hatte Stopolje und seine Umgebung in einen wahrhaft paradiesischen Landstrich verwandelt.
Obwohl die Katzen dem Wasser mehr als gleichgültig gegenüberstanden, stockte auch Loj der Atem vor Begeisterung. Sie war lange nicht mehr hier gewesen … Sie rückte auf der harten Bank nach vorne und blickte jetzt begierig aus dem Fenster.
Kreidehügel, auf deren abgeschnittenen Gipfeln schneeweiße Paläste standen. Regenbögen über allen Brunnen – als wäre die ganze Stadt in einem blauen Netz verflochten, über dem farbige Lichtreflexe tanzten. Die Straßen waren ebenfalls weiß, sauber … Es fiel dem Clan leicht, Stopolje so strahlend rein zu halten, ging doch jede Nacht ein kurzer erfrischender Regenguss auf die Stadt nieder, so dass
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