Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow
aller Schmutz durch die Kanäle ins Meer gespült und dort von gehorsamen Meeresströmungen weit weg vom Ufer getrieben wurde.
Loj unterdrückte eine unerwünschte Regung von Eifersucht, die sie beim Anblick der Stadt erfasste. Schön. Dies war nicht ihre Stadt, nicht ihr Clan, und vermutlich würden die kristallene Reinheit der Luft und das Plätschern der Brunnen sie ohnehin in kürzester Zeit langweilen. Jetzt musste sie sich auf etwas anderes konzentrieren, nämlich wie sie am Leben bleiben und trotzdem ihr Vorhaben erreichen konnte.
Der Zug hielt mit einem lauten Zischen auf Höhe des Bahnhofsgebäudes, das mit zartrosafarbenem Muschelkalk verkleidet war. Augenblicklich strömten die Massen aus den Wagen – man konnte sich nur wundern, wie viele Menschen in diesen Holzschachteln Platz gefunden hatten. Stopolje war eine große Stadt. Von den Clans der vier Elemente
hatten nur das Wasser und die Erde zugelassen, dass ihre Siedlungen zu solcher Größe heranwuchsen. Feuer und Luft hatten das entweder nicht gewünscht, oder sie hatten mit dem Wesen ihrer Magie das einfache Volk zu sehr geängstigt. Denn man konnte sagen, was man wollte – die Magie des Wassers und der Erde waren zwar ebenso zerstörerisch und mächtig wie die anderen beiden Elemente, aber ganz sicher einfacher zugänglich und verständlicher für das übrige Volk der Mittelwelt …
Loj stieg als Letzte aus dem Waggon. Ihre Nachbarinnen waren schon vom Bahnsteig gehumpelt, der entehrte, aber nicht verärgerte Reiter hatte sich mit einem letzten Blick zurück ebenfalls entfernt, und sie stand immer noch da und versuchte, sich ein Herz zu fassen.
»Was kann ich für Sie tun, meine Dame?«
Hatte der Träger wirklich nicht gesehen, dass sie kein Gepäck mit sich führte? Sie winkte ab und schritt auf das Bahnhofsgebäude zu. Auch hier mangelte es nicht an Manifestationen der Kraft. Das Wasser hatte nicht mit großen Gesten gegeizt: In der Mitte des Saals stand ein Brunnen, dessen Strahlen langsam, ohne Eile in die Höhe flossen, als ob sie nicht aus Wasser, sondern aus einer klebrigen Substanz, einer Art dickem Sirup bestünden; der Boden unter den Füßen war ein durchsichtiger See, vermutlich unterirdisch von elektrischer Magie beleuchtet. Man beschritt diesen Boden und wusste nicht, ging man auf Glas, das einen See bedeckte, oder auf Wasser, welches – entgegen allen Regeln der Natur – zu einer unnachgiebigen Oberfläche geworden war.
Auch hier zog Loj fremde Blicke auf sich. Aber weniger – denn Stopolje wimmelte nur so von Menschenadel, und die hübschen Mädchen kamen aus allen Ecken des Landes hierher.
Loj aß im Bahnhofsrestaurant ein wenig von dem außergewöhnlichen Fisch, den man in den freigebigen Tiefen des Meeres fing; es wäre eine Sünde gewesen, die Gelegenheit nicht zu nutzen. Dann trat sie hinaus auf die Straße.
Das Leben brodelte. Auf Leiterwagen und Handkarren wurden allerhand Waren zum Bahnhof transportiert – hauptsächlich jener Fisch, der gedörrt, getrocknet oder durch eine magische Beschwörungsformel so konserviert wurde, dass er auch an der Luft wenigstens eine Woche lang am Leben blieb. Der Clan war geschickt, er nahm sich mit seiner Kraft, was ihm zustand, und versäumte es auch nicht, mit Beschwörungsformeln zu handeln. Festlich gekleidete Menschen und Elfen schlenderten vorbei (männliche Elfen allerdings weniger als weibliche); wahrscheinlich waren sie von weit her angereist, von der Grauen Grenze oder den Eisernen Bergen, um hier am Warmen Ufer ihr ehrlich verdientes oder auch unrechtmäßig erworbenes Geld auszugeben. Und natürlich spazierten scharenweise junge Mädchen umher, die Loj misstrauische Blicke zuwarfen – war sie eine Konkurrentin oder nicht? Es gab auch Arme, die an den Kreuzungen um eine Gabe bettelten. Aber selbst die sahen hier anders aus und riefen nicht jenen verächtlichen Ärger hervor wie zu Hause. Und sogar die käuflichen Frauen, deren Anblick Loj für gewöhnlich zornig machte – Liebe ist keine Handelsware, man kann sie verschenken, aber nicht verkaufen! -, schienen hier ein unverzichtbares, fröhliches Element des Gesamtbildes.
Ein merkwürdiger Ort war dieses Stopolje. Hier gab es von allem viel, sowohl Magie als auch Geld, Fröhlichkeit und Sünde. Und alles war so kunstvoll miteinander verwoben, dass man nicht ein Fädchen herausziehen konnte, ohne das Ganze zum Zusammenstürzen zu bringen.
Die Paläste, in denen die Clanmitglieder lebten, erstreckten sich entlang
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