Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow
vorgesehen, aber nach heutigen Maßstäben wird das wohl nicht nötig sein.«
»Und was muss er dann tun, meine verehrte Tel?«, murmelte Iwer.
»Was er will«, antwortete das Mädchen scharf. »Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Und was hast du vor, Loj Iwer?«
»Euch im Rahmen meiner schwachen Möglichkeiten zu helfen«, erwiderte die Katze, ohne zu zögern. »Euer Ziel liegt sowieso auf meinem Weg. Jedenfalls wenn du, verehrte Tel, mir die Wahrheit gesagt hast.«
Das Mädchen schnaubte nur.
Es wurde still.
Was war so schlecht daran, die Kraft zu beherrschen?, fragte sich Viktor. Wenn er der Drachentöter sein sollte, nun gut, dann war das eben sein Schicksal … Schließlich hatte er sich heute nicht seinem Hass überlassen, hatte ihn nicht in eine alles vernichtende Macht verwandelt und das Städtchen des Erdclans nicht zerstört. Dabei wäre er dazu in der Lage gewesen – ganz sicher!
Dennoch, tief in seinem Inneren ertönte eine weitere Stimme und verschaffte sich Gehör.
»Es gibt noch eine dritte Welt«, vernahm Viktor eine weiche Stimme. »Du hast sie gesehen … ein wenig von ihr … in deinen Träumen. Auch dort lässt sich eine würdevolle Beschäftigung finden. Warum nicht dahin gehen? Sollen doch diese verrückten Magier untereinander ausmachen, wen sie brauchen und wen nicht. Dorthin führt für sie kein Weg. Das ist eine Tatsache.«
Er erinnerte sich an den Fresssack. Irgendetwas sehr Bedeutsames hatte ihm dieser nicht sonderlich angenehme Typ erklären wollen. Was hatte Loj noch mal gesagt? Die
Angeborenen bereiten eine Invasion vor? Ja, doch. Die eine oder andere Aussage des Fresssacks ließ sich gut als Warnung deuten …
Daran wollte er gerne glauben.
Aber eines war klar, wenn er seine Verfolger abschütteln könnte, dann würde er eine Freiheit erlangen, von der er bei sich zu Hause, auf der Anderen Seite, nur träumen konnte. Ganz gleich, selbst wenn das alles nur ein kranker Wahnsinn war und er in Wirklichkeit schon lange in die Kaschtschenko-Klinik 24 eingeliefert worden war, für diese Form des Wahnsinns wäre er bereit, für immer auf seine »Wirklichkeit« zu verzichten … genau wie der Rollenspieler Kolja vom Frachtkahn.
»Tel, werde ich zum Drachentöter?« Viktor wollte nicht länger drumherumreden. »Wenn ich die Weihen hinter mich gebracht habe?«
Dieses Wort hatte etwas Abscheuliches. Drachentöter … Mörder … Henker … Killer … Assassine.
Das Mädchen wich seinem Blick aus.
»Du sollst dieses Wort nicht laut aussprechen, Viktor. Gib dem, was noch nicht stattgefunden hat, keinen Namen.« Ihre Stimme war zu einem Flüstern geworden.
Loj lauschte eifersüchtig.
»Was kann ich tun?«
»Du selbst bleiben.« Tels Lippen formten die kaum hörbaren Worte. »Alles andere ist Schicksal.«
»Und was ist mit diesen Angeborenen? Was sind das überhaupt für Leute? Ich habe geträumt … aber undeutlich und wirr …«
Sowohl Loj als auch Tel senkten die Blicke.
»Das ist unser Fluch, Viktor«, sagte Loj schließlich. »Es ist so, dass wir alle – alle Clans, die hier in der Mittelwelt
leben – irgendwann einmal vor langer Zeit aus der Welt der Angeborenen hierherkamen. Die Andere Seite vertreibt jene, die ihr artfremd sind, schrittweise, einen nach dem anderen, aber in jener Welt ging das anders vor sich. Wahrscheinlich musste sich erst eine Masse ansammeln, eine … hm … kritische Masse, wie eure Physiker sagen würden. Das waren unsere Vorfahren. Und dann wurden sie vertrieben. Sie kamen hierher ans Warme Ufer und ergriffen die Herrschaft über alle Bewohner der Mittelwelt. Aber damit war noch nichts zu Ende. Bis heute drängt die Welt der Angeborenen ihre Paria hinaus. Einzelne sind keine Gefahr für uns, manche von ihnen landen sogar bei den Clans. Aber jetzt reift eine neue Welle heran. Es nähern sich jene, die unsere Welt einschmelzen und neu gießen wollen.«
»Lange beschützten uns die Drachen. Die Geflügelten Herrscher der Mittelwelt«, ergänzte Tel überraschend.
»Das heißt, dass die Drachen gut sind?«, wunderte sich Viktor.
»Gut?«, empörte sich Loj. »Seit wann das! Sie herrschten mit eiserner Faust nach dem Motto: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Es gab immer nur ein Urteil! Du weißt schon, welches … Sie wollten alles wissen und alles bestimmen. Sie mischten sich in alles ein … Und duldeten keinen Widerspruch. Andererseits waren sie schön und stark …«
»Sie waren weder gut noch schlecht, Viktor«, sagte Tel mit leiser
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