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Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow

Titel: Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Viktor schüttelte sich schwach, erhob sich auf die Ellbogen. Alles um ihn herum kam ihm falsch vor, irreal, und er wusste nicht sofort, wo er war. Der Maßstab hatte sich verändert. Im Fiebertraum war er ein Riese gewesen – oder die anderen waren Liliputaner.
    Am Ufer brannte ein Feuer. Wie hatte Tel es angezündet? So nass, wie sie war, ohne einen trockenen Faden auf dem Leib, ganz zu schweigen von einem Feuerzeug oder Streichhölzern.
    Erst jetzt begriff Viktor, dass er fast ganz ausgezogen war. Seine Jeans, das Hemd und alles andere dampften über dem Feuer vor sich hin. Gott sei Dank trug er wenigstens noch seine Unterhose. Das verrückte Mädchen litt jedenfalls bestimmt nicht an übertriebenen Schamgefühlen.
    »So trocknen sie nicht richtig, aber was soll’s«, vernahm er ihre Stimme. »Sonst wärst du erfroren.«
    »Tel …«, begann er. Dieses Mädchen nahm sich eindeutig zu viel heraus! Auch nach allem, was geschehen war. Aber er verstand ohnehin nicht, was hier vor sich ging.
    »Alles in Ordnung.« Sie hörte auf, sich ums Feuer zu kümmern, und zog sich schnell aus. Ihr eigener Pullover und die Hose baumelten jetzt neben Viktors Kleidern. Ihre Nacktheit schien ihr kein bisschen peinlich zu sein. »Du hast doch gewählt, nicht wahr?«
    »Was gewählt?« Er verstand sie nicht.
    Sie richtete sich auf und blickte ihm direkt in die Augen. Streng sagte sie: »Ich darf nicht wissen, was genau du gewählt hast, sag mir einfach, ob du es getan hast.«
    Sein Traum kehrte zurück, für einen Moment; er erinnerte sich an die Flamme. Nur an die heiße Flamme. Gewählt?

    Viktor sagte nicht »ja« – Tel verstand es von selbst. Sie nickte zufrieden und warf einen weiteren Arm voll Reisig ins Feuer. Viktor bemerkte, dass sie sich aufgekratzt hatte. Aber was machte das schon? Bei ihr heilten ja sogar größere Wunden in einer einzigen Nacht.
    »Sitz nicht rum«, sagte Tel. »Du musst dich bewegen, Viktor.«
    Er stellte sich die Szene vor, wie sie beide nackt um das Feuer herumhüpften, und schüttelte den Kopf. Aber Tel ließ nicht locker. »Steh auf! Los jetzt!«
    Ehe Viktor reagieren konnte, hatte sie sich schon einen glimmenden Zweig aus dem Feuer gegriffen, genaugenommen eher einen Stock mit einem glutroten Ende, und versetzte ihm damit einen Hieb auf den Rücken.
    »Du!« Alle Verwirrung war vergessen, und ohne zu begreifen, was er tat, sprang er auf und stürzte hinter Tel her. »Verdammt …«
    Hätte er das Mädchen in diesem Moment erwischt, hätte es einen ordentlichen Schlag abbekommen. Aber Tel zu fangen war schier unmöglich. Nach einer Minute blieb das Mädchen auf der anderen Seite des Feuers stehen und rief: »Viktor! Frieden?«
    Schweigend drohte er ihr mit der Faust.
    »Ich musste es tun, damit du dich bewegst und deine Durchblutung in Gang kommt«, sagte sie ernst. »Sei nicht wütend. Verzeih mir.«
    »Ich kann nicht verzeihen«, sagte Viktor. Und er kam nicht mehr dazu, sich über seine eigenen bösen, pathetischen und gleichzeitig völlig aufrichtigen Worte zu wundern. Die Welt um ihn herum begann zu schwanken …
    Die Flamme ergriff ihn. Schlug, biss, brannte. Böse, unbarmherzig und gleichzeitig hilflos. Er war sowieso stärker.
Viel stärker als alle Feinde zusammen. Aber ihr Angriff, ihre Bosheit – all das verlangte nach einer Antwort. Einer angemessenen Antwort. Er schwamm – im kochenden Meer, das von einem lichterloh brennenden Teppich überzogen war. Er schwamm auf lange schmale Schiffe zu; deren Masten mit den schwarzen Segeln erhoben sich hoch über die Wellen, und Adlerköpfe ragten an ihrem Bug in die Luft.
    Er wusste, dass er stärker war. Und immer stärker sein würde …
    »Viktor«, sagte Tel. »Viktor …«
    Er öffnete die Augen, fasste ihre Faust mit der einen Hand und griff mit der anderen Hand ins Feuer. Ohne hinzusehen, tastend, als spürte sein ganzer Körper die Flamme, zog er einen glimmenden Zweig heraus. Und schlug Tel damit leicht auf die Schulter. Das Mädchen kreischte auf und riss sich los.
    »Jetzt herrscht Frieden«, sagte Viktor.
    Aus irgendeinem Grund war er ganz sicher, dass Tel ihm, wenn sie gewollt hätte, ohne Probleme hätte ausweichen können.
    »Ist dir jetzt warm?«, erkundigte sich Tel übergangslos und rieb sich die Schulter. »Zieh dich an, wir dürfen nicht trödeln. Vorerst haben wir die Feinde abgehängt, aber nicht für immer. Sie werden den Pfad finden. Und wir müssen bis zum Abend die Felsen erreichen.«
    »Die Felsen?« Viktor lachte

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