Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow
er daran glauben, um seine Absichten zu rechtfertigen …?
Der Blaue Fluss diente als natürliche Grenze. Ritors Stammesbrüder hatten sich am äußersten Rand des Waldes niedergelassen,
aber auf dem östlichen Flussufer errichteten sie nicht einmal einen armseligen Schuppen, ganz zu schweigen von einem Fährbetrieb. Dort hatten sie auch keine Felder angelegt. Aus irgendeinem Grund war all die Jahre niemand auf den Gedanken gekommen, die pausenlose Wache auf dem Gipfel des Spitzzahns abzuschaffen, die Beobachter des östlichen Ufers von dort abzuziehen. Zwar war von Osten noch nie ein Feind gekommen, aber eben auch noch nie ein Freund, und allein das reichte aus, um die Wache beizubehalten.
Die Häuser drückten sich eng an den Fuß des Felsens. Ritors Vorgänger hatte erreicht, dass ihre Siedlung von einer steinernen Mauer eingefasst wurde, während die meisten Befestigungsanlagen in der Mittelwelt aus Holz waren. Einst, noch vor dem großen Krieg, der neben vielem anderen auch Bbchtschi vernichtet hatte, jener Burg also, in der Ritor das Treffen mit dem Clan des Feuers vereinbart hatte, einst wurde Baumaterial aus dem Steinbruch am linken Ufer des Blauen Flusses nach Westen und nach Norden geschafft, um dort gewaltige Festungen zu errichten. Dann begriff man, dass Frieden sehr viel besser war als Festungen, und als es immer mühseliger wurde, die schon ausgeräumten Steinbrüche weiter auszubeuten, gab man sie schließlich auf. Aber es hatten sich dort noch genügend Steine für die Mauern und Türme des Clans der Luft gefunden.
Die Siedlung war ziemlich groß, eigentlich schon fast eine kleine Stadt zwischen den Bergen und dem Meer. Sauber und voller Grün, denn es gab ausreichend Wasser. Die kleineren einstöckigen Häuser, die hinter Baumkronen verborgen lagen, wurden zum Hauptplatz hin von zwei- und dreistöckigen Gebäuden aus Stein abgelöst. Auf
dem Platz selbst, wo der Markt stattfand, standen der Tempel der Luft, die Schule, das Arsenal, das Rathaus und die Kirche.
Vor langer, langer Zeit hatte es einen fanatisch gläubigen Franziskanermönch hierher verschlagen, in seiner Heimat wäre er fast verbrannt worden, aber hier erwies er sich als mächtiger Magier. Aus dieser Zeit stammte die Kirche der Heiligen Gottesmutter Unbekannter Länder, die von eben jenem Franziskaner eigenhändig ausgemalt worden war. Er hatte dieser Aufgabe sein ganzes Leben gewidmet. Und der Clan der Luft wusste Hingabe zu schätzen. Der Mönch fand sogar Nachfolger; die Tradition war bis zum heutigen Tag lebendig geblieben, auch wenn natürlich keiner wirklich daran glaubte. Aber der kleine Tempel, wie das Kirchlein liebevoll genannt wurde, blieb stehen.
Jenseits der Mauern lagen Felder, Bewässerungskanäle, große Farmen und Einzelgehöfte, manche davon eine ganze Tagesreise vom steinernen Rondell der Stadt entfernt. Und noch dahinter – die letzte Station der Eisernen Route, die die Gnome erbaut hatten, als klar wurde, wer der Herr der Mittelwelt war.
Der See lag bald hinter ihnen. Das Gelände schien anzusteigen, der Wald wurde dichter. Sie mussten sich fortwährend durch Windbruch und Dickicht durchschlagen.
Wie man es auch drehte und wendete, in der Nähe von Moskau gab es keine solchen Wälder. Aber er hatte schon aufgehört, sich zu wundern.
»Jetzt kommt der Krumme Hügel, und direkt dahinter der Weiße Hügel«, sagte Tel mit der Stimme einer strengen Lehrerin. »Die müssen wir hinter uns bringen, danach steigen wir in die Windbruchschlucht ab. Sie liegt am nächsten
zur Grauen Grenze. Dort müssen wir scharf aufpassen. Dann wird der Weg einfacher. Erst kommen die Hügel und dahinter die Felsen. Bis zum Abend sind wir dort … wir müssen es bis Sonnenuntergang schaffen.«
Viktor fragte nicht nach, warum sie bis Sonnenuntergang dort sein mussten. Er wusste, was getan werden musste – warum, war nicht wichtig.
»Bist du wirklich warm geworden?«, erkundigte Tel sich, während sie den Krummen Hügel hinaufstiegen. In Viktors Augen war dieser Hügel kein bisschen krummer als der Weiße, ebenso wie jener nicht heller war als der Krumme. Aber Namen haben ihre eigenen Grillen. »Wenn du krank wirst … Wir dürfen keine Zeit verlieren.«
»Unsinn. Ich werde nicht krank. Als Kind hab ich auch mal so was erlebt, ich war genauso von Kopf bis Fuß durchnässt, und meine Großmutter zwang mich, in den See zu springen.«
Tel gab nur ein nachdenkliches »Hhm« zur Antwort.
»Und das Wasser war noch kälter.« Das
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