Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow
unvorstellbar viel Blut. Dagegen würden alle bisherigen Verluste bedeutungslos erscheinen.
Er durfte nicht mehr warten. Der Drache konnte jeden Augenblick kommen … nicht umsonst schmerzte Ritors Herz jede Nacht, nicht umsonst zogen verworrene feurige Bilder vor seinen Augen vorbei … und die Vergangenheit wurde wieder lebendig. Ritor, der Bezwinger des Letzten Drachen, spürte mit seinem ganzen Wesen: Der Augenblick der Wiedergeburt war nahe. Man hätte dem Drachen dabei helfen können – schließlich hatte Ritor nicht umsonst ein
Treffen mit dem Clan des Feuers angestrebt -, und damit, so hatte der Magier der Luft gehofft, hätten sie das blutrünstige Wesen des Drachen milde stimmen können; aber das Schicksal hatte es anders gewollt. Nun denn, auch das würden sie annehmen.
Was hatte sein Bruder gesagt? »Bist du sicher, dass du die Absichten des Feindes erkannt hast?« O ja, er war sich mehr als sicher. Der Drachentöter würde nicht ankommen. Wie traurig es auch war, aber sie würden ihn vernichten müssen. Es war bedauerlich, denn dieser war ja ein völlig unschuldiger Mensch aus einer ganz anderen Welt, aber es ließ sich nicht ändern. Es lebte einmal ein ganz normaler Mensch, ein Menschlein. Vielleicht hier, vielleicht auf der Anderen Seite, vielleicht sogar bei den Angeborenen, wenn bei ihnen überhaupt Menschen lebten. Eines Tages geschah etwas, ein geheimer Mechanismus der Seele schnappte zu, die Fäden der Großen Kraft erbebten, diese Fäden durchdrangen die Welten und verbanden sie miteinander. Irgendwo wurde ein Drache geboren, und irgendwo erschien der Drachentöter. Und machte sich auf den Weg …
Es war immer die gleiche Rechnung. Das Leben eines Einzelnen oder das Leben Unzähliger, einschließlich jenes ersten Opfers. Es war schändlich, aber nicht zu ändern. Sein Gewissen war schon an derartige Geschäfte gewöhnt. Anders würden die Clans, die es ans Warme Ufer verschlagen hatte, kaum überleben. Nicht einmal hier in der Mittelwelt.
Ritor erhob sich entschlossen. Jetzt wusste er, was zu tun war. Die Abkommen waren gebrochen, Schwerter und Säbel geschärft, die Werber zogen durch die Siedlungen, bisher noch großzügig und rechtschaffen, ohne im Rausch zu überreden, lockten sie die Jünglinge mit dem Klang der
Münzen und dem Glänzen der Rüstung … Es gab kein Zurück.
Ritor verließ sein Zimmer. Der Korridor war leer, nicht einer würde sich in seine Nähe wagen, solange er in angespanntes Nachdenken versunken war … das heißt, siehe da, trotz allem hatte sich einer erdreistet. Der Maître spürte ein leichtes Schwanken des magischen Windes an seinen Schläfen und musste unwillkürlich lächeln. So ein Lausebengel. Aus ihm würde mal was werden – mit der Zeit …
Der Junge scheuerte noch immer mit demselben Eifer den Boden, der bereits spiegelblank glänzte. Als Ritor näher kam, blickten ihm zwei vorgeblich naive Augen entgegen. Ja, Maître, sehen Sie, im Schweiße meines Angesichts erfülle ich meine Aufgabe …
»Hast du tatsächlich die Absicht, dieser Beschäftigung bis zur Prüfung nachzugehen?«, fragte Ritor streng.
»Wie Sie es mir aufgetragen haben, Maître.« Der Junge verneigte sich ehrfürchtig, tief in seinen Augen glomm ein ungezügelter Funke. Er musste für seine Lauscherei mit einer sehr viel härteren Strafe als einfachem Bodenscheuern rechnen, aber trotzdem glomm dieser Funke.
»Wie ich es aufgetragen habe«, wiederholte Ritor. »Nun steh schon auf … Asmund, nicht wahr? Asmund, Sohn des …«
»Claude des Schuhmachers, Maître«, antwortete der Junge respektvoll, während er eilig, aber erfolglos versuchte, seinen unbändigen Locken ein angemessenes Aussehen zu verleihen.
»Ja, richtig.« Ritor nickte. »Also, Asmund, Sohn des Claude und der Brunhilde, nun sage mir – und sprich die Wahrheit: Was hast du gehört?«
Ritors Wall war absolut. Er war neugierig, wie viele Schichten zu durchbrechen dem Kleinen gelungen war.
Asmund wurde dunkelrot bis über die Ohren. Er war hellhäutig wie seine nordische Mutter. In dem Jungen mischte sich das dicke norwegische Blut mit südfranzösischem.
»Entschuldigen Sie, Maître …« Seine Augen nahmen nun einen aufrichtigen, schuldbewussten Ausdruck an. »Ich … ich habe gehört … dass Sie den Drachentöter mit Zauberei ausfindig machen wollen.«
Ritor spürte, wie der Boden unter seinen Füßen nachgab.
»Ich … ich bin Ihnen so dankbar, Maître«, fuhr der Junge inzwischen fort und blickte den
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