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Drachenreigen (mit Bonus-Story: Schau hin!)

Drachenreigen (mit Bonus-Story: Schau hin!)

Titel: Drachenreigen (mit Bonus-Story: Schau hin!) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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ihrem Schoß. Und irgendwie tat es das ja auch.
    Dann presste sie ihre Oberschenkel zusammen, und für einen Moment war meine Hand dazwischen gefangen.
    „Warte“, sagte sie.
    Das Wort hallte in meinen Ohren nach. Obwohl es nur diese beiden Silben waren, hätten es ebenso gut unserer Freunde sein können, die plötzlich neben uns im Gras aufsprangen und losgröhlten.
    Ich zog die Hand zurück, fast bis zu ihrem Knie.
    Vielleicht hätte ich das nicht tun sollen. Vielleicht hätte ich sie einfach liegen lassen sollen. Vielleicht wollte sie, dass ich das tat.
    Schweigen. Ein langes Schweigen. Ein Schweigen von der Sorte, das schnell zu Sätzen führt wie: „Nun, danke jedenfalls für den netten Abend.“
    Aber soweit ließ sie es nicht kommen. „Schau mal!“ Sie sah mich nicht an, blickte wieder zum Himmel hinauf, in den strudelnden Paarungstanz der Drachen.
    Mir lag ein „Ja, sehr schön“ auf der Zunge, aber dann folgte ich tatsächlich ihrem Blick, und zum ersten Mal sah ich sie wirklich dort oben, sah sie in all ihrer Schönheit und Macht.
    Es waren sechs oder sieben, und der Nachthimmel gehörte ihnen. Einmal im Jahr, immer im Juli, kamen sie aus den Bergen herab und trafen über der Ebene aufeinander. Mit ihren Schwingen tanzten sie einen Reigen, Stunde um Stunde, ohne sich zu berühren, bis sie ihre Wahl getroffen hatten. Ehe es soweit war, flogen sie über- und umeinander, die Nacht war voll von ihnen. Sie schlängelten sich durch die Lüfte wie Figuren eines exotischen Ornaments. Jedes freie Stück Schwärze schienen sie auszufüllen wie Vignetten im Initial einer Handschrift, mit kunstvollem Federstrich umrissen und dann mit Gold ausgemalt. Das Gold am Himmel war der Schein ihrer Feuerstöße, die sie in immer schnelleren Abständen hinausbliesen in die Nacht, nicht gegeneinander, nicht im Kampf, sondern als Zeichen von Stärke und – so vermuteten wir Menschen und gingen dabei vielleicht mal wieder zu sehr von uns selbst aus – als Zeichen ihrer Zeugungskraft. Aber was immer ihre Beweggründe waren, es war ein Schauspiel ohnegleichen, das schönste aller Bilder, ein Spektakel aus Feuer und fremder Eleganz. Diese Nacht war der Höhepunkt des Jahres, denn er erinnerte uns alle an das, was wir waren und niemals sein konnten.
    Aber wir konnten es immerhin versuchen, und gerade eben noch war ich auf dem besten Weg dorthin gewesen. Jetzt aber lag meine Hand wieder auf ihrem Oberschenkel, viel zu weit entfernt vom Ziel, und ich spürte einen ganz schwachen Luftzug an den Fingerspitzen, weil sie noch immer ganz feucht waren.
    Und obwohl mir all das durch den Kopf ging, blickte ich gemeinsam mit ihr zum Himmel hinauf und sah, was sie schon früher entdeckt hatte als ich.
    Zwei Drachen hatten ihre Wahl getroffen und schlängelten sich im Flug umeinander, trugen sich jetzt mit vier statt mit zwei Schwingen, ein monströses Liebesspiel, bei dem jeder Atemstoß zum Feuerball wurde.
    Einen Moment lang bekam ich kaum Luft, so großartig war dieser Anblick, so überwältigend. Für drei, vier Herzschläge vergaß ich alles andere und brachte nichts als stummes Staunen zustande.
    Und dann löste sich etwas wie eine Goldmünze aus dem Knäuel der beiden Körper und segelte langsam zu Boden, schaukelte auf den Sturmstößen der mächtigen Schwingen vor und zurück und senkte sich dabei zur Erde herab.
    „Siehst du das?“, fragte sie.
    „Ist das –?“
    „Eine Drachenschuppe.“ Sie bekam vor Erregung kaum Luft. Verstohlen wünschte ich mir, sie hätte einen besseren Grund dafür gehabt. „Eine echte, wahrhaftige Drachenschuppe.“
    Das glühende goldene Ding kam näher, und jetzt wurde deutlich, dass es nicht weit von hier zu Boden fallen würde.
    Sie streifte meine Hand und meine Umarmung ab und sprang auf.
    Ich hockte noch immer im Gras, und beinahe wäre ich sitzen geblieben, als sie mir ihre Hand entgegenstreckte.
    „Komm“, sagte sie. „Weißt du, was ich jetzt tun will?“
    „Nach Hause gehen?“, fragte ich elend.
    „Ach was, du Kindskopf.“ Sie lachte, und da musste ich einfach nach ihren Fingern greifen. „Lass uns danach suchen.“
    „Nach was?“
    „Nach der Drachenschuppe, natürlich!“ Hinter ihr erhellte ein triumphaler Flammenstoß den Himmel, hüllte ein paar Atemzüge lang alles in Kupferlicht.
    „Du willst die Schuppe suchen?“
    „Das sag ich doch!“
    „ Jetzt ? “
    „Natürlich. Bevor irgendwer anders auf die Idee kommt.“
    „Aber wir sind die Einzigen hier draußen vor der

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