Drachenreigen (mit Bonus-Story: Schau hin!)
ich sie lächelnd über den Rand der Schuppe gebeugt. Sie streckte mir ihre Hände entgegen. Ich wusste nicht, wann sie dort hinauf geklettert war und warum ich es nicht bemerkt hatte.
„Komm, schweb´ mit mir!“
Das war die sonderbarste Einladung, die ich in meinem Leben erhalten habe, aber ich wäre lieber gestorben als noch einen Herzschlag länger zu zögern.
Ich überwand das letzte Stück, legte eine Hand an die Außenseite der Schuppe – sie war warm, aber nicht heiß –, ließ zu, dass ihre Finger über meine Wange strichen, dann zog ich mich mit beiden Händen über den Rand. Die Schuppe schwankte nur ganz leicht, weniger als jedes Boot.
Wir küssten uns wieder, als wir uns in der Mulde gegenüberhockten, sie im Schneidersitz, ich auf den Knien, und bald lagen wir beieinander, und ich konnte ein sanftes, fernes Pulsieren unter der Oberfläche der Schuppe spüren, wie ein Nachhall des Herzens, das einst darunter geschlagen hatte. Unter uns war das Gold des Drachens, und über uns der Feuerschein, und ich war froh und dankbar, und vermutlich stellte ich mich furchtbar ungeschickt an, aber das ist ganz in Ordnung, denke ich. Wir waren beide so aufgeregt, wie man es später nur noch selten ist, und ich glaube, irgendwann in dieser Nacht habe ich ihr dann doch noch gesagt, dass ich sie liebe, und sie hat nicht gelacht, sondern nur meine Lippen mit den ihren berührt, ein zarter Stups, eine hochgezogene Augenbraue und dann wieder die ganze Wärme ihres Körpers und dieses Lächeln.
Gegen Morgen verlor die Schuppe an Glanz, der Himmel leerte sich, und wir schwammen müde und glücklich zurück ans Ufer. Ich wusste genau, wenn ich mich umdrehte, würde die Schuppe verschwunden sein, versunken im See, und so war es dann auch.
Ich werde sie nie vergessen, das sagte ich ihr, und heute weiß ich, dass es die Wahrheit war.
Ich werde mich immer an das erinnern, was sie gesagt hat, als sie hinter dem Rand der Goldschuppe auftauchte und mir ihre Hand entgegenstreckte.
Ich kann mich an alles erinnern, an ihre Augen, ihre Lippen, an ihren Geschmack und die Muster der Wassertropfen auf ihrer Haut.
Amethyst – sie war die einzige, die mich jemals so genannt hat, und ich weiß bis heute nicht, warum. Aber das spielt keine Rolle, nicht wahr?
Komm, schweb´ mit mir .
Ich schwebe noch immer, dann und wann, und das wird so bleiben, mein Leben lang.
Bonus Story
Schau hin!
Sie haben gesagt: Stell dich vor den Spiegel. Hier sind eine Kerze und ein Feuerzeug. Dann löschen wir das Licht. Warte, bis es dunkel ist und du keinen Laut mehr hörst. Dann entzünde die Kerze und halte sie neben dein Gesicht. Sieh in den Spiegel. Wirf das Feuerzeug fort.
Und dann, beobachte.
Beobachte dein Gesicht im Kerzenschein.
Und – vor allem – beobachte die Finsternis in deinem Rücken.
***
Sie haben gesagt: Der Raum ist groß. Du siehst nichts als dein Gesicht. Dein Gesicht und die Kerzenflamme im Spiegel. Alles dahinter ist tiefschwarz.
Vielleicht bist du allein im Raum.
Vielleicht bist du es nicht.
Schau ganz genau hin.
***
Sie haben gesagt: Sieh genau zu, was mit deinem Gesicht geschieht. Am Anfang wirst du abfällig tun. So als sei das alles nur ein schlechter Scherz. Du wirst gelangweilt tun. Und überheblich. Wahrscheinlich wirst du lachen.
Aber rede nicht mit uns!
Das ist sehr wichtig, deshalb merk es dir gut: Egal, was du tust, rede nicht mit uns! Sprich uns nicht an.
Vergiss das nie!
Rede mit dir selbst. Mit der Kerze, wenn du magst.
Aber niemals mit uns.
Niemals mit uns.
***
Sie haben gesagt: Dein Gesicht wird sich verändern. Nach dem Lachen wird es ernster werden. Deine Wangen werden zucken, nur ein wenig. Du wirst ein paar Mal zu sprechen ansetzen, aber dann machst du den Mund wieder zu. Ohne ein Wort. Ohne ein einziges Wort.
Deine Augen werden nervös umherflackern. Von rechts nach links und wieder nach rechts.
Aber dreh dich nicht um!
Dreh dich niemals um, haben sie gesagt.
Das wäre schlimm.
***
Sie haben gesagt: Deine Stirn wird glänzen. Das tut sie jetzt schon. Deine Stirn wird glänzen, während du nach einem Einfall suchst: Was sollst du jetzt tun?
Da ist die Schwärze in deinem Rücken. Diese große, schwarze Leere hinter dir.
Wenn deine Augen Kameras wären, dann würde sich die Schärfe verlagern, wenn du von der Dunkelheit zurück auf dein Gesicht siehst. Und dann wieder in die Dunkelheit.
Und jedes Mal, wenn du dich im Spiegel anschaust, wird
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