Drachenreiter
»Still, du Hohlkopf!«, zischte er. »Hast du denn keinen Verstand unter deinem großen Hut? Du kannst froh sein, wenn er dich nicht frisst. Steig auf den Raben und mach, dass du wegkommst. Wahrscheinlich hast du nur eine große Eidechse gesehen.«
»Nein, nein!«, rief der Zwerg. »Es ist ein Drache! Seine Schuppen sehen aus, als wären sie aus Mondlicht, und er ist groß, sehr groß.«
Nesselbrand betrachtete den Teppich. Reglos stand er da. Dann drehte er sich um.
»Wehe!«, sagte er mit dunkler Stimme. »Wehe, du irrst dich. Wie eine Kakerlake werde ich dich zerquetschen, wenn du mich umsonst hoffen lässt.«
Der Steinzwerg zog den Kopf ein.
»Panzerputzer, komm her«, knurrte Nesselbrand.
Fliegenbein zuckte zusammen. »Die Feile, die Feile, Meister!«, rief er. »Ich hole sie auf der Stelle. Ich fliege, ich eile.«
»Vergiss die Feile!«, fauchte Nesselbrand. »Ich habe wichtigere Arbeit für dich. Flieg auf dem Raben zu dem Berg, von dem dieser Schwachkopf gekommen ist. Finde heraus, was er gesehen hat. Und wenn da wirklich ein Drache ist, dann erkunde, warum er allein ist, woher er kommt, was der Mensch und der Kobold bei ihm wollen. Ich will alles wissen, hörst du, alles.«
Fliegenbein nickte und lief auf den Raben zu, der immer noch geduldig am Fuße der Treppe wartete.
Verdutzt guckte der Zwerg ihm nach. »Und was ist mit mir?«, fragte er. »Wie soll ich denn zurückkommen?«
Nesselbrand lächelte. Ein abscheuliches Lächeln war das. »Du darfst mir die Krallen schärfen, solange Fliegenbein weg ist. Du darfst mir den Panzer polieren und die Stacheln abstauben, die Zähne putzen und die Kellerasseln von den Schuppen pflücken. Du bist mein neuer Panzerputzer! Das ist mein Dank für deine gute Nachricht.«
Entsetzt sah der Steinzwerg ihn an.
Nesselbrand leckte sich das Maul und grunzte zufrieden.
»Ich beeil mich, Meister«, sagte Fliegenbein und setzte sich auf den Rücken des Raben. »Ich bin bald zurück.«
»Gar nichts bist du«, sagte Nesselbrand mürrisch. »Du berichtest mir übers Wasser, verstanden? Das geht schneller als die Hin- und Herfliegerei.«
»Übers Wasser?« Fliegenbein verzog das Gesicht. »Das kann aber seine Zeit dauern, bis ich auf diesem Berg welches finde, Meister!«
»Frag den Zwerg, wo Wasser ist, Käferhirn«, fauchte Nesselbrand und drehte sich um. Langsam, mit schweren Schritten ging er auf den Teppich zu, auf dem, gewebt aus tausend Fäden, der silberne Drache schimmerte. Ganz dicht stellte Nesselbrand sich davor. »Vielleicht sind sie ja wirklich wieder da«, murmelte er. »Nach so vielen, langen Jahren. Aaah, ich wusste, dass sie sich nicht ewig vor mir verstecken können. Vor den Menschen vielleicht, aber nicht vor mir.«
DER SPION
Fliegenbein blickte beunruhigt zurück, als der Rabe sich von den zerfallenen Burgmauern in den Himmel schwang. Bisher hatte der Homunkulus die Burg nur verlassen, wenn die Jagdlust Nesselbrand in die Täler trieb, wo er Kühe und Schafe verschlang. Nesselbrand reiste auf unterirdischen Wegen. Er schwamm durch Flüsse tief unter der Erde, und wenn er doch einmal die Erdoberfläche betrat, dann in der Nacht, in der schützenden Dunkelheit. Jetzt hing die Sonne grell und heiß am Himmel. Und Fliegenbein hatte nichts als einen Raben zur Gesellschaft.
»Ist es noch weit?«, fragte er und versuchte nicht nach unten zu sehen.
»Es ist der Berg da drüben!«, krächzte der Rabe zurück. »Der mit der abgebrochenen Spitze.« Wie ein Pfeil flog er darauf zu.
»Musst du so schnell fliegen?« Fliegenbein krallte seine dünnen Finger in die Rabenfedern. »Es reißt mir ja fast die Ohren vom Kopf.«
»Ich dachte, wir hätten es eilig«, antwortete der Rabe ohne langsamer zu werden. »Du wiegst kaum halb so viel wie dieser Zwerg, obwohl du nicht viel kleiner bist als er. Aus was bestehst du? Aus Luft?«
» Gut geraten.« Fliegenbein rutschte unbehaglich hin und her. »Aus Luft und ein paar anderen feinen Zutaten. Aber das Rezept ist verloren gegangen.« Angestrengt blickte er nach vorn. »Da! Da im Gras schimmert etwas!«, rief er plötzlich. »Heiliger Salamander!« Er riss die Augen auf. »Der dumme Zwerg hat wirklich Recht. Es ist ein Drache.«
Der Rabe kreiste über der Stelle, an der Lung zusammengerollt zwischen den Felsen schlief. Ben und Schwefelfell hockten ein paar Meter weiter über der Karte. Drei Steinzwerge standen neben ihnen.
»Lass uns da auf dem Vorsprung landen!«, raunte Fliegenbein dem Raben zu.
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