Drachenreiter
»Genau über ihren Köpfen. So können wir sie am besten belauschen.«
Als der Rabe auf dem Felsvorsprung landete, sah Schwefelfell misstrauisch nach oben.
»Verschwinde!«, zischte Fliegenbein dem Vogel zu. »Versteck dich in der Tanne da, bis ich dir winke. Mich sieht sie nicht, aber du scheinst sie zu beunruhigen.«
Der Rabe erhob sich wieder in die Luft und verschwand zwischen den dunklen Tannenzweigen. Vorsichtig schob sich Fliegenbein bis an den Rand des Vorsprungs.
»Ja, ja, ich geb es zu!«, sagte das Koboldmädchen gerade. »Wir sind ein bisschen vom Weg abgekommen. Aber das macht nichts. Heute Nacht erreichen wir trotzdem das Meer.«
»Fragt sich bloß, welches, Schwefelfell«, sagte der Mensch.
Es war noch ein kleiner Mensch, ein Junge.
»Weißt du was, junger Herr Siebenschlau?«, fauchte das Koboldmädchen. »Du lotst uns heute Nacht. Dann muss ich mir wenigstens nicht dein Genörgel anhören, wenn wir uns wieder verfliegen.«
»Wo wollt ihr denn eigentlich hin?«, fragte einer der Zwerge. Fliegenbein spitzte die Ohren.
»Wir suchen den Saum des Himmels«, antwortete Ben.
Schwefelfell gab ihm einen solchen Schubs, dass er fast umfiel. »Wer hat dir gesagt, dass du das jedem Zwerg auf die Nase binden sollst, hm?«
Der Junge kniff die Lippen zusammen.
Fliegenbein rutschte noch etwas weiter vor. Der Saum des Himmels. Was sollte das denn sein?
»Er wacht auf!«, rief plötzlich einer der Zwerge. »Seht doch, er wacht auf.«
Fliegenbein drehte den Kopf - und da stand er. Der silberne Drache.
Viel kleiner als Nesselbrand war er. Und seine Augen waren nicht rot, sondern golden. Der Drache reckte seine schönen Glieder, gähnte und blickte dann erstaunt auf die drei kleinen Kerle, die sich hinter dem Menschenjungen versteckten.
»Oh, Zwerge!«, sagte er mit einer Stimme, die rau wie eine Katzenzunge war. »Steinzwerge.«
Der Junge lachte. »Ja, sie wollen dich unbedingt kennen lernen«, sagte er und zog die Zwerge hinter seinem Rücken hervor. »Das hier ist Gipsbart, das ist Mandelstein, das Bleiglanz und«, verdutzt sah er sich um. »Wo ist denn der Vierte von euch? Ich weiß seinen Namen gar nicht.«
»Kiesbart!«, sagte Gipsbart und blickte ehrfürchtig zu dem Drachen hoch. »Keine Ahnung, wo er ist. Kiesbart ist ein bisschen sonderlich.«
Fliegenbein oben auf seinem Felsvorsprung konnte sich das Kichern kaum verbeißen. »Kiesbart ist ein Dummkopf«, wisperte er. »Und im Moment ist er Nesselbrands Panzerputzer.« Ein Steinchen löste sich, als der Homunkulus sich noch ein bisschen über den Rand des Felsens vorschob. Das dumme Ding fiel dem Koboldmädchen direkt auf den Kopf. Misstrauisch blickte sie nach oben, aber Fliegenbein zog schnell die Nase zurück.
»Diese Zwerge denken, du kannst Schätze riechen, Lung«, sagte der Menschenjunge. »Sie möchten, dass du ihren Berg beschnupperst.«
»Schätze?« Der Drache schüttelte den Kopf. »Was für Schätze? Ihr meint Gold und Silber?«
Die Zwerge nickten. Gespannt sahen sie den Drachen an. Lung ging auf die Flanke des Berges zu und hielt die Nase schnuppernd an den Felsen. Die Steinzwerge drängten sich aufgeregt um seine Beine.
»Es riecht gut«, sagte der Drache. »Anders als die Berge, aus denen ich komme, aber gut. Ja, wirklich. Doch ich kann euch beim besten Willen nicht sagen, wonach.« Enttäuscht sahen die Zwerge sich an.
»Gibt es noch mehr Drachen, da, wo du herkommst?«, fragte Mandelstein neugierig.
»Das würde mich auch interessieren«, flüsterte Fliegenbein auf seinem Ausguck.
»Aber ja«, antwortete der Drache. »Und dort, wo ich hinwill, hoffentlich auch.«
»Schluss jetzt!«, rief das Koboldmädchen. Gerade als es spannend wurde. Fliegenbein hätte ihr am liebsten auf den Kopf gespuckt. Sie sprang zwischen die Zwerge und den Drachen und scheuchte die kleinen Kerle zurück. »Ihr habt gehört, was Lung gesagt hat. Er weiß nicht, ob in dem Berg Schätze stecken. Also nehmt eure Hämmer und Hacken und findet es selber raus. Lung muss sich jetzt wieder ausruhen. Wir haben noch eine weite Reise vor uns.« Das war's.
Schwefelfell sorgte auch in den nächsten Stunden dafür, dass Fliegenbein nichts Interessantes mehr erfuhr. Die Zwerge erzählten dem Drachen von den guten alten Zeiten, als ihre Großeltern noch auf Drachen geritten waren. Lung flog mit ihnen eine Runde um die Tannenspitzen und dann hielt Gipsbart dem Drachen einen endlos langen Vortrag über Quarz und Silbererz. Es war nicht zum Aushalten. Vor
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