Drachenreiter
lauter Gähnen wäre Fliegenbein fast von seinem Ausguck gefallen.
Als die Sonne schon tief über den Bergen hing, verließ er sein Versteck, gab dem Raben ein Zeichen, ihm zu folgen, und kletterte mühsam die Felsen hinauf zu der Quelle, die Kiesbart ihm beschrieben hatte. Sie war leicht zu finden. Sprudelnd drang das Wasser aus einer Felsspalte und sammelte sich in einem Becken. Drum herum hatten die Zwerge schimmernde Halbedelsteine gelegt. Der Rabe ließ sich krächzend darauf nieder und pickte mit dem Schnabel nach den Käfern, die zwischen den Steinen saßen. Fliegenbein aber kletterte auf den größten Stein - und spuckte in das klare Wasser.
Die glatte Oberfläche kräuselte sich. Das Wasser wurde dunkel und in dem Becken erschien Nesselbrands Bild. Kiesbart stand auf seinem Rücken und staubte die Rückenstacheln mit einem großen Pinsel ab.
»Na endlich!«, knurrte Nesselbrand Fliegenbein an. »Wo warst du so lange? Ich hätte vor Ungeduld fast diesen Zwerg gefressen.«
»Oh, das solltet Ihr nicht tun, Meister«, antwortete Fliegenbein. »Er hatte Recht. Hier ist ein Drache gelandet. Silbern wie das Mondlicht und viel kleiner als Ihr, aber eindeutig ein Drache.«
Ungläubig starrte Nesselbrand den Homunkulus an.
»Ein Drache!«, raunte er. »Ein Silberdrache. Die ganze Welt habe ich nach ihnen absuchen lassen, bis in den letzten verdreckten Winkel. Und jetzt landet einer fast vor meiner Tür.« Er leckte sich die Zähne und lächelte.
»Seht Ihr?«, rief Kiesbart von seinem Rücken herunter. Vor Aufregung ließ er den Pinsel fallen. »Ich habe ihn für Euch gefunden, ich! Gebt Ihr mir nun die Schuppe? Gebt Ihr mir vielleicht sogar zwei?«
»Halt den Mund!«, fuhr Nesselbrand ihn an. »Oder ich zeige dir gleich das Gold zwischen meinen Zähnen! Putz weiter!« Erschrocken rutschte Kiesbart von seinem Rücken und holte sich den Pinsel wieder. Nesselbrand wandte sich wieder seinem alten Panzerputzer zu. »Erzähl, was hast du über ihn erfahren? Gibt es da, wo er herkommt, noch andere von seiner Sorte?«
»Ja«, antwortete Fliegenbein.
Nesselbrands Augen begannen zu leuchten. »Aaah!«, seufzte er. »Endlich! Endlich kann die Jagd wieder beginnen.« Er fletschte die Zähne. »Wo finde ich sie?«
Fliegenbein rieb sich die spitze Nase und blickte nervös auf das Spiegelbild seines Meisters. »Also, das«, er zog den Kopf zwischen die Schultern, »das weiß ich nicht, Meister.«
»Das weißt du nicht?« Nesselbrand brüllte so laut, dass Kiesbart kopfüber von seinem Rücken plumpste. »Das weißt du nicht? Was hast du denn die ganze Zeit getrieben, du nichtsnutziges Spinnenbein?«
»Ich kann nichts dafür! Dieses Koboldmädchen ist schuld!«, rief Fliegenbein. »Es passt auf, dass der Drache über seine Herkunft nichts erzählt. Aber ich weiß, wonach er auf der Suche ist, Meister!« Eifrig beugte er sich über das dunkle Wasser. »Er sucht den Saum des Himmels.« Nesselbrand richtete sich auf.
Regungslos stand er da. Mit seinen roten Augen blickte er in Fliegenbeins Richtung, aber er sah durch ihn hindurch. Kiesbart beulte seinen Hut aus und kletterte schimpfend den gezackten Schwanz hoch.
Der Homunkulus räusperte sich. »Kennt Ihr diesen Ort, Meister?«, fragte er leise.
Nesselbrand blickte immer noch durch ihn hindurch.
»Keiner kennt ihn«, knurrte er schließlich. »Außer denen, die sich dort verstecken. Seitdem sie mir entkommen sind, vor mehr als hundert Jahren, verkriechen sie sich dort. Ich habe diesen Ort gesucht, bis meine Pranken blutig waren. Ich war ihm manchmal so nah, dass ich glaubte, sie riechen zu können. Aber ich habe diese Drachen nie gefunden und die große Jagd war zu Ende.«
»Aber Ihr könnt doch diesen jagen!«, rief Kiesbart von seinem Rücken. »Den, der so dumm war, genau vor Eurer Nase zu landen.«
»Pah!« Verächtlich schlug Nesselbrand mit der Pranke nach einer vorbeihuschenden Ratte. »Und dann? Das wäre ein kurzer Spaß. Außerdem würde ich nie erfahren, wo er hergekommen ist. Ich würde nie erfahren, wo die anderen sind. Nein, ich habe eine bessere Idee, eine viel bessere. Fliegenbein!«
Erschrocken zuckte der Homunkulus zusammen. »Ja, Meister?«
»Du folgst ihm«, grunzte Nesselbrand. »Du folgst ihm, bis er uns zu den anderen führt - zu denen, die er sucht, oder zu denen, die er zurückgelassen hat.«
»Ich?« Fliegenbein schlug sich auf die schmale Brust. »Aber wieso denn ich, Meister? Kommt Ihr nicht mit?«
Nesselbrand fauchte. »Ich habe
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