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Drachenreiter

Titel: Drachenreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Funke
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geschickt aus.
    »In einer kalten, mondlosen Winternacht des Jahres 1424«, begann er noch einmal, »erschuf der große Alchimist Petrosius von Bilsenkraut das größte Wunder, das die Welt jemals gesehen hat, das mächtigste Wesen, das ...«
    »Das mächtigste und gefährlichste Wesen«, unterbrach Nesselbrand ihn. »Gib dir ein bisschen Mühe, ja? Sonst beiß ich dir in deine Spinnenbeine. Weiter.«
    »... das mächtigste und gefährlichste Wesen«, leierte Fliegenbein gehorsam herunter, »das je seine Pranken auf die Erde gesetzt hat. Aus einem Geschöpf, dessen Namen niemand kennt, schuf er es, aus Feuer und Wasser, aus Gold und Eisen, aus hartem Stein und dem Tau, den der Frauenmantel auf seinen Blättern fängt. Dann erweckte er es zum Leben mit der Kraft der Blitze und er nannte sein Werk Nesselbrand.« Fliegenbein gähnte. »O Verzeihung.«
    »Weiter, weiter«, knurrte Nesselbrand und schloss die roten Augen.
    »Weiter, ja. Gleich zu Diensten!« Fliegenbein klemmte sich seine Feile unter den Arm und ging zur nächsten Tatze. »In derselben Nacht«, fuhr er fort, »erschuf Petrosius noch zwölf Homunkuli, kleine Männer, von denen der Letzte hier sitzt und Euch die Krallen feilt. Die anderen ...«
    »Überspring das«, knurrte Nesselbrand.
    »Soll ich vielleicht vom Ende des Petrosius, unseres Schöpfers, zwischen den Zähnen Eures ehrenwerten Rachens erzählen?«
    »Nein, uninteressant, berichte von meiner Jagd, meiner großen Jagd, Panzerputzer.«
    Fliegenbein seufzte. »Schon bald nach seiner Erschaffung machte der herrliche, unbesiegbare, ewig glänzende Nesselbrand, der Goldene, sich auf, um alle anderen Drachen vom Antlitz dieser Erde zu putzen ...«
    »Zu putzen?« Nesselbrand öffnete ein Auge. »Zu putzen? Wie hört sich das denn an?«
    »Oh, habe ich sonst ein anderes Wort benutzt, Meister?« Fliegenbein rieb sich die spitze Nase. »Das muss mir entfallen sein. Ach, jetzt ist die Feile abgebrochen.«
    »Hol dir eine neue«, knurrte Nesselbrand. »Aber beeil dich oder du kannst deine elf Brüder in meinem Magen besuchen.«
    »Nein danke«, lispelte Fliegenbein und sprang auf. Aber gerade als er losrennen wollte, kam ein großer Rabe die Steintreppe heruntergehüpft, die in die verborgenen Gewölbe der Burg führte.
    Über den Raben wunderte Fliegenbein sich nicht. Die schwarz gefiederten Burschen waren die fleißigsten und treuesten Spione Nesselbrands - obwohl er ab und zu einen von ihnen fraß. Aber auf dem Rücken des Raben saß ein Steinzwerg. Von denen traute sich nur selten einer her. Selbst die Panzerpolitur brachten sie nicht selbst, einer der Raben holte sie bei ihnen ab. Der Zwerg hielt seinen großen Hut fest, als der Rabe die Stufen hinunterhüpfte. Sein Gesicht war rot vor Aufregung. Am Fuß der Treppe kletterte er hastig von dem schwarzen Vogel herunter, machte ein paar Schritte auf Nesselbrand zu und warf sich der Länge nach vor ihm auf den Boden.
    »Was willst du?«, fragte Fliegenbeins Meister mürrisch.
    »Ich habe einen gesehn!«, stieß der Zwerg hervor, ohne das Gesicht vom Boden zu erheben. »Ich habe einen gesehen, Euer Goldheit.«
    »Einen was?« Nesselbrand kratzte sich gelangweilt das Kinn. Fliegenbein trat neben den Zwerg und beugte sich zu ihm herunter. »Du solltest zur Sache kommen«, raunte er ihm zu, »anstatt deine dicke Nase auf dem Boden platt zu drücken. Mein Meister hat heute nämlich eine wahrhaft fürchterliche Laune.«
    Der Zwerg rappelte sich auf, sah nervös zu Nesselbrand auf und zeigte dann mit zitterndem Finger auf die Wand hinter ihm. »So einen«, hauchte er. »So einen hab ich gesehn.«
    Nesselbrand drehte sich um. An der Wand hing ein Teppich, von Menschen vor vielen hundert Jahren gewebt. Seine Farben waren verblichen, aber selbst in der Dunkelheit war zu erkennen, was er zeigte - einen silbernen Drachen, der von Rittern gejagt wurde.
    Nesselbrand richtete sich auf. Seine roten Augen stierten auf den Zwerg herab. »Du hast einen silbernen Drachen gesehn?«, fragte er. Seine Stimme dröhnte durch die alten Gewölbe. »Wo?«
    »Auf unserem Berg«, stammelte der Zwerg und rappelte sich auf. »Heute Morgen ist er dort gelandet. Mit einem Kobold und einem Menschen. Ich bin gleich auf dem Raben hierher geflogen um es dir zu sagen. Gibst du mir jetzt eine von deinen Schuppen? Eine von deinen goldenen Schuppen?«
    »Ruhe!«, knurrte Nesselbrand. »Ich muss nachdenken.«
    »Aber du hast es mir versprochen!«, rief der Zwerg.
    Fliegenbein zog ihn zur Seite.

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