Drachenreiter
hat Angst bekommen vor dem blauhäutigen Tausendauge. Da hat er sich schnell aus dem Staub gemacht. Ein Glück, kann ich nur sagen!«
»Du bist gemein!«, fuhr Ben sie an. Er sprang auf, lief zum Höhlenausgang und sah suchend hinaus.
»Fliegenbein!«, rief er. »Fliegenbein, wo bist du?«
Barnabas Wiesengrund legte ihm die Hand auf die Schulter. »Vielleicht hat Schwefelfell wirklich Recht und eure Reise wird dem kleinen Kerl eine zu brenzlige Angelegenheit«, sagte er. Dann blickte er zum Himmel hinauf. »Es wird dunkel, liebe Freunde«, stellte er fest. »Wenn ihr den Dschinn wirklich fragen wollt, solltet ihr bald aufbrechen. Der Weg zu ihm führt hauptsächlich über die Wüste - das heißt, heiße Tage, kalte Nächte.« Er nahm seinen Korb und lächelte Ben noch einmal zu. »Du bist ein mutiger Junge, weißt du das? Ich werde jetzt schnell hinunter ins Lager gehen und euch noch etwas Proviant für die Reise besorgen. Eine Flasche Sonnencreme für dich und ein Kopftuch, wie es die Araber tragen, wären auch nicht schlecht. Und mach dir keine Sorgen um den Homunkulus. Diese Geschöpfe sind sehr eigensinnig. Wer weiß, vielleicht zieht es ihn einfach zu seinem Schöpfer zurück.«
Dann schob er das Dornendickicht vorm Eingang der Höhle zur Seite und stakste durch die Abenddämmerung davon. Schwefelfell trat neben Ben und schaute sich um. »Ich wüsste trotzdem zu gern, wo dieser Winzling
geblieben ist«, murmelte sie. Draußen zwischen den Palmen krächzte ein Rabe.
FLIEGENBEINS ZWEITER BERICHT
Fliegenbein huschte durch die Dämmerung. Die Sonne versank rot hinter den Ruinen und die Säulen warfen lange Schatten auf den Sand. Die steinernen Gesichter an den alten Mauern sahen im Zwielicht der aufziehenden Nacht noch unheimlicher aus als am Tage, aber der Homunkulus beachtete sie nicht. An steinerne Fratzen war er gewöhnt. Die Burg seines Meisters war voll davon. Nein, er hatte andere Sorgen. »Wo, um des Himmels und der Hölle willen«, murmelte er, während der heiße Sand ihm unter den Füßen brannte, »soll ich hier Wasser finden? Nichts als ausgedörrte Erde, hart wie die Schuppen meines Meisters. Jeder Tropfen weggeschlürft von der Sonne. Oh, er wird wütend sein, dass ich mich so spät melde! So wütend.«
Immer schneller lief der Homunkulus. Er huschte in die verfallenen Tempel, schnüffelte zwischen den Palmen - und blieb schließlich ratlos in dem ausgetrockneten Flussbett sitzen. »Und dieser hundsföttige Rabe ist auch verschwunden«, jammerte er. »Was mach ich nur? Oh, was mach ich nur?« Die Sonne versank hinter den braunen Hügeln und schwarze Schatten griffen nach Fliegenbein. Plötzlich schlug er sich gegen die Stirn.
»Das Meer!«, rief er. »Ich erbärmlicher Hohlkopf. Das Meer!« Er sprang so schnell auf, dass er über die eigenen Füße stolperte.
Flink wie ein Eichhörnchen lief er durch das trockene Flussbett, kugelte und rutschte die sacht abfallenden Uferklippen hinunter und plumpste in den feinen Sand, an dem die salzigen Wellen des Meeres leckten. Das Rauschen füllte seine Ohren. Die Gischt spritzte ihm ins Gesicht. Fliegenbein kletterte auf einen wellenumspülten Stein und spuckte in das dunkle Wasser. Langsam, verzerrt von der Brandung, erschien das Bild seines Meisters. Immer größer wurde es, wuchs und wuchs auf dem gewaltigen Spiegel des Meeres.
»Wo warst du so lange?«, brüllte Nesselbrand. Er bebte vor Wut, so sehr, dass Kiesbart, der Zwerg, auf seinem Rücken hin und her taumelte.
»Ich kann nichts dafür!«, rief Fliegenbein und rang die Hände. »Wir sind in einen Sturm geraten und dann hat der Rabe mich im Stich gelassen. Die Menschen haben mich gefangen und, und ...«, seine Stimme überschlug sich, »dann hat der Junge mich befreit und mitgenommen und dann konnte ich mich erst nicht davonschleichen und dann habe ich kein Wasser gefunden und dann ...«
»Und dann und dann und dann!«, schnauzte Nesselbrand. »Hör auf, mich mit diesem unnützen Geschwätz zu langweilen. Was hast du erfahren?«
»Sie suchen den Saum des Himmels«, stieß Fliegenbein hervor.
»Aaaahr!«, fauchte Nesselbrand. »Das weiß ich doch längst, du Schwachkopf! Hat der Rabe dein bisschen Gehirn gefressen, bevor er sich davongemacht hat? Was noch?«
Fliegenbein wischte sich über die feuchte Stirn. Er war schon pitschnass von der spritzenden Gischt. »Was noch? Oh, eine ganze Menge, aber Ihr bringt mich ganz durcheinander, Meister. Ich habe schließlich eine
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