Drachenreiter
tausend Orte der Welt spiegeln, und jedes Mal, wenn Asif blinzelt, erscheinen tausend neue Orte im Spiegel seiner Pupillen.«
»Hört sich an, als ob ich ihm nie begegnen möchte«, brummte Schwefelfell. »Wieso sollten wir den hervorlocken wollen?«
Der Professor senkte die Stimme. »Weil dieser Dschinn die Antwort auf jede Frage dieser Welt kennt.«
»Von jeder?«, fragte Ben ungläubig.
Barnabas Wiesengrund nickte. »Fliegt zu ihm. Und fragt ihn, wo der Saum des Himmels liegt.«
Die drei Freunde sahen sich an. Fliegenbein rutschte unruhig auf Bens Schulter hin und her. »Wo finden wir ihn?«, fragte Lung.
»Es ist ein Umweg für euch, aber ich glaube, auch der könnte sich lohnen.« Der Professor faltete die Karte von Gilbert Grauschwanz noch ein Stück weiter auseinander. »Hier. Ihr müsst ans untere Ende der arabischen Halbinsel.« Er legte den Finger auf die Karte. »Wenn ihr der Küstenstraße am Roten Meer entlang nach Süden folgt, bis sie hier«, er tippte auf eine Stelle, »nach Osten abzweigt, dann stoßt ihr irgendwann auf eine Schlucht namens Wadi Juma'ah. Sie ist so steil und eng, dass nur für vier Stunden am Tag das Sonnenlicht auf ihren Grund fällt. Trotzdem wachsen dort unten riesige Palmen und ein Fluss fließt zwischen den Felswänden hindurch, auch wenn überall sonst das Wasser längst in der heißen Sonne verdunstet ist. Dort wohnt Asif, der tausendäugige Dschinn.«
»Haben Sie ihn schon mal gesehn?«, fragte Ben.
Barnabas Wiesengrund schüttelte lächelnd den Kopf. »Nein, mir würde er sich nie zeigen. Ich bin viel zu uninteressant. Aber ein Drache«, er blickte Lung an, »ein Drache wäre da schon etwas anderes. Lung muss Asif anlocken. Und du musst die Frage stellen, Ben.«
»Ich?«, fragte Ben erstaunt.
Der Professor nickte. »Ja, du. Asif beantwortet nur Fragen, wenn drei Bedingungen erfüllt sind. Erstens: Ein Mensch muss die Frage stellen. Zweitens: Die Frage darf dem Dschinn noch nie gestellt worden sein. Ist Asif schon einmal so etwas gefragt worden, so muss der Fragende den Rest seines Lebens dem Dschinn dienen ...«, Lung und Ben wechselten erschrockene Blicke, »... und drittens«, fuhr der Professor fort, »muss die Frage genau sieben Wörter haben, keins mehr und keins weniger.«
»Also nein!« Schwefelfell sprang auf und kratzte sich das Fell. »Nein, nein, nein, das hört sich nicht gut an. Überhaupt nicht. Mein Fell juckt schon bei der Vorstellung, dem Tausendauge zu begegnen. Ich finde, da folgen wir doch lieber dem Weg, den diese eingebildete Ratte uns empfohlen hat.« Lung und Ben schwiegen.
»Ja, ja, eure Ratte ...« Der Professor sammelte seine Schüsseln und Kochutensilien wieder ein und verstaute sie in seinem Korb. »Sie hat auch von dem Dschinn gewusst. Quittengelb hat sie das Wadi Juma'ah gemalt. Wisst ihr was?«, sagte er in das Schweigen hinein. »Schwefelfell hat wahrscheinlich Recht. Vergesst den Dschinn. Er ist ein zu gefährlicher Bursche.« Lung schwieg immer noch.
»Ach was, wir fliegen zu ihm«, sagte Ben. »Ich hab keine Angst. Und ich muss ja schließlich fragen, oder?« Er kniete sich wieder neben Barnabas Wiesengrund und beugte sich über die Karte. »Zeigen Sie mir noch mal ganz genau, wo die Schlucht ist, Professor?«
Barnabas Wiesengrund blickte erst den Jungen und dann Lung und Schwefelfell fragend an. Das Koboldmädchen zuckte nur die Schultern. »Er hat Recht. Er fragt«, sagte sie. »Und wenn dieser Dschinn wirklich die Antwort weiß, sparen wir uns eine Menge Sucherei.« Der Drache stand da und sagte nichts. Nur sein Schwanz schlug unruhig hin und her.
»Ach, komm, Lung!«, sagte Ben. »Guck nicht so.« Der Drache seufzte. »Warum kann ich die Frage nicht stellen?«, sagte er ärgerlich.
»Wisst ihr was?«, rief Schwefelfell und sprang auf. »Wir lassen einfach den Homunkelkuss fragen. Er ist ein bisschen klein, aber sonst sieht er aus wie ein Mensch. Dieser Dschinn mit seinen tausend Augen ist bestimmt durcheinander von allem, was er sieht. Der hält ihn sicher für einen Menschen. Und wenn die Fragerei schief geht, bekommt Fliegenbein einen neuen Meister und wir sind ihn los.«
»Hör auf, Schwefelfell!« Ben blickte sich nach Fliegenbein um - und stellte fest, dass er verschwunden war. »Wo ist er?«, fragte er besorgt. »Er war doch eben noch hier.« Ärgerlich drehte er sich zu Schwefelfell um. »Er ist weggelaufen, weil du ihn dauernd aufziehst.«
»Blödsinn!«, fauchte das Koboldmädchen zurück. »Das Spinnenbein
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