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Drachenreiter

Titel: Drachenreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Funke
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DES INDUS  
     
    Wolken verdeckten den Mond und die Sterne, als die Seeschlange auf die Küste von Pakistan zuglitt. Ben erkannte in der Dunkelheit Hütten am flachen Strand, Boote, die am Ufer lagen, und die Mündung eines gewaltigen Flusses, der sich aus unzähligen Armen ins Meer ergoss.
    »Hier ist es!«, zischte die Seeschlange dem Jungen zu. »Hierher sind die Drachen gekommen, bis das Ungeheuer sie vertrieb. Der Fluss dort ist der Indus, den man auch den heiligen Sindh nennt. Folgt ihm und er bringt euch zu den Bergen des Himalaja.« Sie schlängelte sich am Dorf vorbei, wo vor einigen Hütten Laternen brannten, und glitt auf die Mündung des Indus zu. Das Land zwischen den Flussarmen war flach und schlammig, bedeckt mit weißen Seevögeln, die die Schnäbel ins Gefieder steckten. Erschrocken flogen sie auf, als die Schlange den riesigen Kopf auf eine Sandbank schob. Das Geschrei der Vögel zerriss die Stille der Nacht.
    Ben sprang vom Kopf der Schlange in den feuchten Sand und blickte zum Dorf hinüber, aber es lag verborgen hinter flachen Hügeln.
    »Dort im Schilf«, sagte die Seeschlange und hob züngelnd den Hals, »kann Lung sich verstecken, bis du herausgefunden hast, ob deine Artgenossen im Dorf immer noch Drachenfreunde sind.«
    »Wir danken dir «, sagte Lung und ließ Schwefelfell von seinem Rücken steigen. »Es tat gut, eine Weile auszuruhen.«
    Die Schlange beugte mit leisem Zischen den Hals. »Der Fluss ist hier flach«, sagte sie zu Ben. »Du kannst hindurchwaten, wenn du zu dem Dorf gehst. Ich könnte dich dort absetzen, aber mein Anblick würde die Fischer so erschrecken, dass sie sich tagelang nicht aufs Meer hinauswagen.«
    Ben nickte. »Ich mach mich am besten gleich auf den Weg«, sagte er. »He, Fliegenbein«, er öffnete seinen Rucksack. »Du kannst die Nase wieder rausstrecken. Wir sind an Land.« Verschlafen kroch der Homunkulus aus den warmen Menschensachen, schob den Kopf aus dem Rucksack - und zog ihn gleich wieder ein. »An Land, an Land!«, schimpfte er. »Ich sehe immer noch überall Wasser.«
    Ben schüttelte spöttisch den Kopf. »Willst du mit mir zu dem Dorf gehen oder soll ich dich bei Lung und Schwefelfell lassen?«
    »Bei Schwefelfell? O nein«, antwortete Fliegenbein hastig. »Da komme ich doch lieber mit.«
    »Okay.« Ben machte den Rucksack wieder zu.
    »Wir verstecken uns dahinten«, sagte Schwefelfell und zeigte zu einer Sandbank, auf der das Schilf besonders dicht wuchs. »Aber diesmal vergess ich nicht unsere Spuren zu verwischen.«
    Ben nickte. Als er sich umdrehte um sich von der Seeschlange zu verabschieden, war der Strand leer. Weit entfernt sah Ben aus dem Meer drei schillernde Buckel ragen. »Oh!«, murmelte er enttäuscht. »Sie ist schon fort.«
    »Wer schnell kommt, geht auch schnell«, sagte Schwefelfell und stopfte sich ein Schilfblatt zwischen die spitzen Zähne.
    Lung blickte zum Himmel hinauf, wo der Mond gerade hinter den Wolken hervorkam.
    »Ich hoffe, die Menschenfrau hat wirklich etwas gefunden, das sein Licht ersetzt«, murmelte er. »Wer weiß, ob er uns nicht noch einmal so im Stich lässt wie über dem Meer.« Er seufzte und stupste Schwefelfell an. »Komm, wir verwischen unsere Spuren.«
    Schnell und leise machten sie sich an die Arbeit.
    Ben aber brach mit Fliegenbein auf, um Subaida Ghalib, die Drachenforscherin, zu suchen.

    EIN ÜBERRASCHENDES WIEDERSEHEN
     
    Vögel flatterten kreischend in den Nachthimmel, als Ben durch das warme Wasser des Flusses watete. Über die Sandbänke krochen riesige Schildkröten, die sich hier aus dem Meer schoben um ihre Eier abzulegen. Aber Ben hatte kaum ein Auge für sie.
    Mit einem Seufzer betrachtete er die Visitenkarte der Drachenforscherin, die Barnabas Wiesengrund ihm gegeben hatte. Viel würde sie ihm nicht nützen. Zwei Adressen standen darauf, eine in London und eine in Karatschi, und ihr Name: Subaida Ghalib. Ben blickte aufs Meer. Ein heller Streifen hing über dem Horizont. Der Tag begann mit heißen Fingern die Nacht zu vertreiben.
    »Vielleicht halte ich die Karte einfach ein paar Kindern unter die Nase«, murmelte Ben. »Irgendwer sagt mir dann schon, wo sie wohnt.«
    Da zupfte Fliegenbein plötzlich an seinem Ohrläppchen. Er war aus dem Rucksack gekrochen und machte es sich auf Bens Schulter bequem. »Sie werden die Karte nicht lesen können«, sagte er.
    »Wieso nicht?« Ben runzelte die Stirn. »Ich kann sie doch auch lesen. Su-bai-da Gha-lib.«
    »Wunderbar!« Fliegenbein

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