Drachenreiter
der Sand wie ein feiner Schleier und in der heißen Luft bildete sich ein Wesen, das mit jedem Hauch des Wüstenwindes seine Gestalt zu ändern schien. Die sandigen Glieder wuchsen und streckten sich, bis ein verhüllter Reiter auf seinem dünnbeinigen Kamel vor Nesselbrand saß. Sein wehender Burnus bestand ebenso aus tausenden von Sandkörnern wie seine ganze übrige Gestalt. »Du willst Wasser?«, flüsterte der Reiter. Seine Stimme klang wie knirschender Sand.
Kiesbart plumpste mit einem Schrei kopfüber von der Schnauze seines Meisters. Nesselbrand klappte vor Überraschung das zerstochene Maul zu.
»Was bist du denn?«, knurrte er den sandigen Reiter an.
Das durchscheinende Kamel tänzelte vor der Nase des Riesendrachen herum, als habe es nicht die geringste Angst vor ihm.
»Ich bin ein Sandmann!«, knirschte das seltsame Wesen. »Und ich frage dich nur noch einmal: Willst du Wasser?«
»Ja!«, grunzte Nesselbrand. »Was für eine dumme Frage, jaaa.«
Der Sandmann blähte sich wie ein löchriges Segel im Wind. »Ich gebe dir Wasser«, hauchte er. »Aber was bekomme ich dafür?«
Nesselbrand spuckte Kaktusstacheln vor Wut. »Was du dafür bekommst? Ich werde dich nicht fressen! Das bekommst du.«
Der Sandmann lachte. Sein Mund war nur ein Loch in seinem sandigen Gesicht.
»Was bekomme ich?«, fragte er noch einmal. »Sag schon, du Blechriese.«
»Versprecht ihm irgendwas!«, wisperte Kiesbart Nesselbrand ins Ohr.
Aber Nesselbrand senkte schnaubend vor Wut seine Hörner. Mit klirrendem Panzer sprang er vor und schnappte zu. Es knirschte zwischen seinen Zähnen und der Sandmann fiel in sich zusammen. Nesselbrand musste husten, als die Sandkörner ihm die Kehle hinunterwirbelten. Dann fletschte er die Zähne zu einem zufriedenen Grinsen.
»Na bitte!«, grunzte er - und wollte sich gerade umdrehen, als Kiesbart plötzlich wie verrückt auf seine gepanzerte Stirn trommelte.
»Euer Goldheit!«, kreischte er. »Da! Da seht doch!«
Dort, wo noch eben der eine Sandmann zusammengefallen war, wuchsen plötzlich zwei neue aus dem Sand. Sie streckten Fäuste hoch, durch die das grelle Sonnenlicht hindurchschien, und plötzlich erhob sich ein Wind über der Wüste.
»Weg hier, Euer Goldheit!«, schrie Kiesbart, aber es war schon zu spät.
Der Wind strich heulend über die Dünen und da, wo er den Sand aufwirbelte, wuchsen noch mehr Sandmänner aus dem Boden. Sie galoppierten mit ihren Kamelen auf Nesselbrand zu und umzingelten ihn.
Eine gewaltige, undurchdringliche Staubwolke aus sandigen Körpern hüllte ihn ein. Nesselbrand biss um sich wie ein toll gewordener Hund. Er schnappte nach den dünnen Beinen der Kamele, den flatternden Mänteln ihrer Reiter. Aber für jeden Sandmann, den er zu fassen bekam, wuchsen zwei neue aus dem Boden der Wüste. Im Kreis ritten sie um ihn herum durch den fliegenden Sand, immer schneller und schneller. Kiesbart zog sich vor Grausen den Hut über die Augen. Nesselbrand fauchte und brüllte, schlug mit den Tatzen und schnappte immer aufs Neue zu mit seinem furchtbaren Gebiss. Aber alles, was er zu fassen bekam, war Sand, knirschender, staubender, Hals und Maul zerkratzender Sand. Mit jeder Runde, die die Sandmänner ritten, versank Nesselbrand tiefer darin, tiefer und tiefer, bis selbst sein Kopf schnaufend und prustend unter den Sandmassen verschwand.
Als die sandigen Reiter ihre Kamele anhielten, war nichts mehr von dem goldenen Drachen und seinem Panzerputzer zu sehen. Nur ein gewaltiger Sandhaufen ragte zwischen den Dünen auf. Ein paar Augenblicke lang standen die Kamele schnaubend da, während die Sandmäntel ihrer Herren sich im Wind blähten. Dann fuhr seufzend der Wind über die Dünen und die Sandleute fielen in sich zusammen und verschmolzen wieder mit der Wüste.
Eine Viper, die sich wenig später über den heißen Sand schlängelte, hörte es in dem seltsamen Hügel scharren. Ein kleiner Kopf mit einem viel zu großen Hut schob sich aus dem Haufen. »Euer Goldheit!«, rief der Kopf, nahm den Hut ab und schüttete zwei Fingerhüte voll Sand in die Wüste. »Ich habe es geschafft. Ich bin im Freien.«
Die Schlange wollte gerade unauffällig näher kriechen um festzustellen, ob das Wesen vielleicht essbar wäre, da stieß ein abscheuliches Maul aus dem Sandberg und fegte sie mit seinem stinkenden Atem hinter die nächste Düne.
»Los, Panzerputzer!«, knurrte Nesselbrand. »Grab mich aus. Und wisch mir diesen verdammten Sand aus den Augen.«
AM DELTA
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