Drachenritter 01 - Die Nacht der Drachen
Grasboden unter ihm war weich.
»Ja, ich glaube, ich werde ein wenig schlafen«, murmelte er. Er machte es sich auf dem Gras bequem und gab dem Impuls seines Drachenkörpers nach, seinen langen Hals einzurollen und den Kopf wie ein Vogel unter einen Flügel zu stecken. »Bis morgen, Secoh.«
»Wie Euer Exzellenz wünschen«, erwiderte der Teichdrache mit seiner zaghaften Stimme. »Ich werde mich hier drüben niederlegen, und wenn Euer Ehrwürden mich brauchen, müssen Euer Ehrwürden nur rufen, ich werde sofort zur Stelle sein …« Die Worte verklangen in Jims Ohren, als er, so wie ein überladenes Schiff im tiefen Salzwasser untergeht, in den Schlaf sank.
7
A LS ER DIE A UGEN ÖFFNETE , war die Sonne schon weit über dem Horizont. Das helle, durchsichtige, kühle Licht des frühen Morgens erleuchtete den klaren blauen Himmelsbogen über ihm. Das Seegras und die Schilfkolben schwankten leicht in der Morgenbrise, die eine Reihe kleiner Kräuselwellen auf den seichten See in der Nähe von Jims Schlafplatz zeichnete. Er setzte sich auf, gähnte ausgiebig und blinzelte.
Secoh war verschwunden. Ebenso die übriggebliebenen Knochen.
Einen Augenblick lang fühlte Jim eine Welle von Zorn. Er hatte sich unbewußt darauf verlassen, daß er aus dem Teichdrachen noch mehr Informationen über die Sümpfe würde herausholen können. Aber dann wich der Zorn einem Gefühl der Belustigung. Das Bild von Secoh, wie er in aller Stille verstohlen die abgenagten Knochen aufsammelte und sich vor Tagesanbruch hinwegstahl, reizte Jims Sinn für Humor.
Er ging zum Rand des Sees und trank. Schlabbernd wie eine riesige Katze schleuderte er sich mit jedem Schlag seiner langen Zunge mehrere Liter Wasser in die Kehle. Endlich befriedigt, blickte er westwärts zu der dunstigen Linie des Ozeans und spreizte seine Flügel…
»Autsch!« sagte er.
Hastig faltete er die Flügel wieder zusammen und verwünschte sich im Geiste selbst. Er hätte sich das natürlich denken können, der Art nach zu schließen, wie Smrgol tags zuvor beim Fliegen außer Atem geraten war. Der erste Versuch, Gorbashs Flügel zu spreizen, hatte, seinem Gefühl nach, mehrere scharfe Messer in die Muskeln gejagt, die er vorher selten benutzt hatte. Wie jeder, der seinen für solche Aktivitäten nicht trainierten Körper überanstrengt, war er in den Körperteilen, die er im Augenblick am dringendsten benötigte, steif wie ein Brett.
Die Ironie seiner Lage entging Jim nicht. Sechsundzwanzig Jahre lang war er ganz gut ohne Flügel ausgekommen. Jetzt, nachdem er sie einen Tag lang hatte benützen können, war er entschieden verstimmt, weil er zu Fuß weitermarschieren mußte. Seine Belustigung schwand, er wandte den Kopf in Richtung Ozean und machte sich auf dem Landweg auf die Reise.
Unglücklicherweise konnte er keine gerade Linie einhalten. Instinktiv versuchte er, soviel als möglich zu Lande vorwärtszukommen, aber oft mußte er über kleine Gräben springen – wobei sich seine Flügel instinktiv spreizten und neue, schmerzhafte Dolchstöße durch seine steifen Flugmuskeln jagten – und ein paarmal mußte er sogar einen Graben oder einen kleinen See durchschwimmen, die zum Springen zu breit waren. Dabei begriff er, warum Drachen es vorzogen, zu Fuß zu gehen oder zu fliegen. Anders als die Menschen hatten sie anscheinend ein etwas höheres spezifisches Gewicht als das Wasser. Mit anderen Worten, wenn er nicht wie ein Wilder paddelte, neigte er dazu, unterzugehen. Und sein Drachenkörper hatte, wie Jim feststellte, eine beinahe hysterische Angst davor, Wasser in die Nase zu bekommen.
Mit diesen verschiedenen Fortbewegungsarten erreichte er jedoch schließlich eine ziemlich breite Landzunge, die er für den Großen Damm hielt, von dem ihm Secoh erzählt hatte. Er hatte in den Sümpfen sonst nichts Vergleichbares gefunden, und als weiterer Beweis war zu werten, daß sie, soweit Jim sehen konnte, tatsächlich nach Westen verlief, so gerade wie eine Römerstraße. Man hätte beinahe annehmen können, sie sei hierhergebaut worden: Sie war gut einen Meter höher als die meisten umgebenden Landflächen, mit Büschen bedeckt, und ab und zu wuchs sogar ein Baum darauf. Jim rollte sich auf das Gras – er hatte gerade eine der Wasserflächen durchschwömmen, die zum Springen zu breit waren – und plumpste mit dem Bauch nach unten in den Sonnenschein. Ein Baum in der Nähe schützte seine Augen vor der Sonne, die Hitze der Strahlen des Tagesgestirns wirkte lindernd auf
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