Drachenritter 02 - Der Drachenritter
Jim, »wenn zwei Menschen wie du und ich…«
»O ja«, seufzte Melusine.
»Wenn zwei Menschen wie du und ich«, fuhr Jim fort, »sich zueinander hingezogen fühlen, dann vertieft und verschönert es ihre Liebe, wenn sie sich dafür interessieren, was der andere tut, auch wenn sie gerade nicht zusammen sind.«
Melusine schüttelte in höchster Verwirrung den Kopf.
»Das klingt aber äußerst seltsam, James«, sagte sie. »Kommt das daher, daß du Engländer bist?«
»Aber gewiß doch«, meinte Jim. »So empfinden in England alle. Deshalb lieben sich die Leute dort auch so innig.«
»Häßliche, brutale Wilde, die überall von Drachen umgeben sind und sich innig lieben?« fragte Melusine ungläubig.
»Aber ja. Sehr, sehr innig. Das kannst du mir ruhig glauben«, antwortete Jim.
»Aber ich glaube dir ja aufs Wort, mein Herzblatt«, sagte Melusine. »Ich kann es mir bloß so schwer vorstellen. Häßlich, brutal… weshalb glaubst du, es würde ihre Liebe stärker machen, wenn sie wissen, was der andere in ihrer Abwesenheit tut?«
»Oh, das bewirkt noch viel mehr«, sagte Jim. »Es fügt ihrer Liebe eine ganz neue Dimension hinzu. Wer die Erfahrung noch nicht gemacht hat, kann sich einfach nicht vorstellen, was das ausmacht. Aber um deine Frage zu beantworten, ihre Liebe vertieft es deshalb, weil es bedeutet, daß sie aneinander denken, wenn sie getrennt sind, und daß sie sich danach sehnen, wieder vereint zu werden. Deshalb wollen sie alles übereinander wissen, sogar was der andere tut, wenn sie nicht zugegen sind.«
»Das ist eine äußerst seltsame Vorstellung, James«, sagte Melusine ernst. »Allerdings will mir scheinen, daß etwas daran sein könnte. Ich bin bloß wahnsinnig überrascht, daß ich nicht schon selbst darauf gekommen bin.«
»Das kommt daher, daß deine Liebesfähigkeit so groß ist«, versicherte ihr Jim. »Sie ist so groß, daß du einfach noch nie den Wunsch verspürt hast, sie noch weiter zu vertiefen.«
Sie faltete die Hände auf dem Schoß.
»Also«, sagte sie, »ich glaube, ich weiß, wie du die Zeit verbracht hast, seit ich dich zum letztenmal gesehen habe. Du hast bis vor kurzem geschlafen, hab ich recht?«
»Ja«, antwortete Jim, »aber woher weißt du das?«
Sie schwenkte über den Goldbarren, Kleidungsstücken, Juwelen und anderen Gegenständen, die auf dem Bett verstreut waren, nachlässig die Hand.
»Oh, wenn du früher wach geworden wärst, müßte noch viel mehr da sein«, sagte sie. »Ich habe meinen Fischen gesagt, sie sollten dich sorgfältig beobachten und dir Geschenke bringen, sobald du wach wärst.«
»Ich verstehe«, sagte Jim. »Du bist wirklich sehr fürsorglich. Dein Tag war bestimmt viel interessanter. Erzähl mir davon.«
»Also, ich kann nicht einfach nur die ganze Zeit herumliegen wie du, Liebling«, sagte Melusine. Sie legte Jim beschwichtigend die Hand auf den Arm. »Nicht, daß ich dir das Herumliegen nicht gönnen würde. Ich möchte, daß es dir an nichts fehlt. Aber was mich betrifft – nun, das ist wirklich ein sehr großer See, weißt du, viel tiefer, als es von oben den Anschein hat, und ich habe alle Hände voll zu tun, mich darum zu kümmern. Meine lieben kleinen Geschöpfe – die Fische und die anderen Unterwasserwesen, die hier leben – sind alle ganz reizend, aber erst seit ich die Dinge in die Hand genommen habe, halten sie auch Ordnung.«
Sie schaute ihn an mit ihren unwiderstehlichen Augen. Jim nickte, um ihr zu bedeuten, daß er sie ganz und gar verstehen könne.
»Deshalb bin ich ständig im See unterwegs und achte darauf, daß alles so ist, wie es sein sollte«, fuhr sie fort. »Daher hatte ich heute – das heißt, den Tag, die Nacht und den Vormittag über, während du geschlafen hast – im See zu tun. Die in der Tiefe wachsenden Wasserpflanzen gedeihen prächtig, aber die Gewächse weiter oben sind nicht ganz so glücklich, wie sie sein sollten. Es gibt drei kleine Flüßchen, die den See speisen, und ein paar natürliche Quellen am Grund des Sees, aber der vergangene Winter war ziemlich trocken. Es gab nicht viel Schnee, und die Folge davon war, daß der Wasserstand gesunken ist. Nicht sehr, weißt du; nicht so weit, daß es den oberen Wasserpflanzen – zum Beispiel den Binsen, die bis an die Luft reichen – geschadet hätte, aber es ist ihnen doch ein bißchen unbehaglich geworden, zumal denen, die bereits voll ausgewachsen sind.«
Sie seufzte.
»Irgend etwas gibt es immer zu tun«, sagte sie. »Wegen der Zuflüsse
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