Drachenritter 02 - Der Drachenritter
der Enzyklopädie und wendet ihn an. So geht das. Damit müßt Ihr solange fortfahren, bis Ihr die ganze Enzyklopädie auswendig könnt. Falls Ihr über die nötige Begabung verfügt, schreitet Ihr dann zur nächsten Stufe fort, wo Ihr derlei Krücken nicht mehr nötig habt. Wenn Ihr die Zaubersprüche der Enzyklopädie erst einmal gelernt habt, könnt Ihr Eure eigenen erfinden. Wenn Ihr eine Million Sprüche kennt, dann könnt Ihr Euch eine Milliarde, eine Billion konstruieren – so viele Ihr wollt! Allerdings glaube ich nicht, daß Ihr es soweit bringen werdet.«
Jim mußte ihm insgeheim beipflichten. Außerdem war er nicht sonderlich scharf darauf, bis zu dieser Stufe vorzudringen.
»Wie lange wird mir das Buch eigentlich im Magen liegen?« erkundigte er sich schwach.
»Ach, das.« Carolinus winkte ab. »In einer halben Stunde werdet Ihr Euch wieder besser fühlen. Ihr müßt zunächst mal verdauen, was Ihr da geschluckt habt.«
Er wandte sich zum Haus um.
»Und damit«, sagte er, »wäre Euch nun geholfen. Ich kann mich wieder mit meinem Planetarium beschäftigen. Vergeßt nicht, was ich Euch gesagt habe. Üben, üben und nochmals üben!«
»Wartet!« schrie Jim.
4
Carolinus blieb stehen und drehte sich um. Mit den finster zusammengezogenen weißen Augenbrauen sah er richtig gefährlich aus.
»Was ist?« fragte er, wobei er die Worte drohend in die Länge zog.
»Ich bin immer noch ein Drache«, sagte Jim. »Das reicht mir allmählich. Wie soll ich es anstellen, wieder ein Mensch zu werden?«
»Mit Magie!« erwiderte Carolinus. »Was glaubt Ihr eigentlich, weshalb ich Euch als Schüler angenommen habe? Weshalb habe ich Euch wohl die Enzyklopädie schlucken lassen? Ihr habt das nötige Rüstzeug, jetzt benutzt es auch!«
Jim machte rasch geistige Inventur. Er spürte, daß da eine Art Wissen war; ein Klumpen, der ebenso unverdaulich und unzugänglich war wie das Gewicht in seinem Magen.
»Ihr habt mich die Enzyklopädie schlucken lassen«, sagte Jim verzweifelt, »aber ich weiß nicht, wie ich sie benutzen soll. Wie stelle ich es an, mich wieder in einen Menschen zu verwandeln?«
Ein boshaftes Lächeln glitt über Carolinus Züge, aber wenigstens schaute er jetzt nicht mehr so finster drein.
»Aha!« meinte er. »Als Euer Lehrer bin ich natürlich davon ausgegangen, Ihr wüßtet, wie man Quellenmaterial benutzt. Dem ist offenbar aber nicht so.«
Vorübergehend runzelte er wieder die Stirn. Er murmelte etwas in seinen Bart, das sich anhörte wie »… eine Schande… die heutige Jugend …«
»Wie es aussieht«, sagte er, »werde ich Euch wohl in den Anfangsgründen der Magie unterweisen müssen. Blickt auf die Innenseite Eurer Stirn«, setzte er hinzu.
Jim starrte ihn an. Dann versuchte er zu tun, was Carolinus ihm aufgetragen hatte. Natürlich schaffte er es nicht, die Innenseite seiner Stirn zu betrachten. Allerdings hatte er das eigenartige Gefühl, mit ein wenig Phantasie eine gebogene dunkle Fläche ausmachen zu können, auf der er wie auf einer Tafel zu lesen vermochte.
»Habt Ihr's?« fragte Carolinus.
»Ich glaube schon«, antwortete Jim. »Zumindest meine ich, etwas zu fühlen.«
»Gut!« sagte Carolinus. »Und jetzt laßt das Inhaltsverzeichnis darauf erscheinen.«
Jim konzentrierte sich auf die imaginäre Tafel, und mit ein wenig Mühe gelang es ihm, vor dem dunklen Hintergrund goldene Buchstaben auszumachen, die da lauteten:
INHALTSVERZEICHNIS
»Ich glaube, das hätte ich«, sagte Jim und blinzelte umher, als könnte ihm das dabei helfen, sich auf die Bilder in seiner Vorstellung zu konzentrieren.
»Ausgezeichnet«, sagte Carolinus. »Und jetzt vergegenwärtigt Euch die folgenden Eintragungen, und zwar eine nach der anderen. Fertig?«
»Fertig«, sagte Jim.
»Entstalten«, sagte Carolinus.
Jim konzentrierte sich – er hätte nicht genau beschreiben können, was er da eigentlich tat, doch es war, als versuchte er sich an etwas zu erinnern, das er ganz genau kannte. Das Wort INHALTSVERZEICHNIS verschwand; an seine Stelle trat eine Wortliste, die vom unteren Rand seiner Stirn nach oben wanderte. Diese Parade schien endlos weiterzugehen. Jim sah hin und wieder ein einzelnes Wort aufblitzen – ›fett‹, ›dünn‹, ›woanders‹ –, doch keines ergab einen Sinn. Er vermutete, daß dies irgendwelche Formmerkmale waren. Aber wie er das Tempo verlangsamen oder das Gesuchte finden sollte – vorausgesetzt, er hätte gewußt, was es war –, dieses Problem erschien
Weitere Kostenlose Bücher