Drachenritter 06 - Der Drache und der Dschinn
Weile hob er den Kelch an die Lippen und nippte daran, dann setzte er ihn wieder ab. Bedächtig drehte er den Kelch um und goß den Wein ins Leere, so daß dieser auf die letzten Stufen vor dem Burgtor spritzte. Den leeren Kelch warf er hinterher. Der Kelch war aus Metall; er fiel wie ein Stein auf die Treppe hinunter, prallte davon ab, schlug abermals auf und rollte, mittlerweile ein zerbeultes Stück Blech, Abd'ul Hassan fast bis vor die Füße. Sir Mortimor machte daraufhin kehrt und trat von den Zinnen zurück.
Eine Zeitlang herrschte in der Tiefe Stille, dann vernahm man das anschwellende Gebrüll der Angreifer. Sir Mortimors Stimme durchdrang mühelos den Tumult.
»Zehn Männer halten ständig Wache«, sagte er. »Alle schlafen mit ihren Waffen und - Beaupre!«
»Ja, Mylord«, antwortete ein schlanker Mann mit einem Schwert an der Seite, der einen europäischen Körperpanzer über der Hüfte und einen Metallhelm trug. Er hatte dunkelbraunes, üppiges Haar, allerdings war sein ansonsten scharf geschnittenes Gesicht übersät mit Pockennarben.
»Ihr übernehmt das Kommando«, sagte Sir Mortimor. »Eine Wache wird an der Treppe und eine am Tor postiert; der Kessel wird mit Öl gefüllt und darunter ein schwaches Feuer entzündet, das sich im Notfall rasch anfachen läßt. Ob ich nun gerade schlafe, wache oder sonstwie beschäftigt bin, Ihr gebt mir Bescheid, sollte es zu einem Sturm aufs Tor kommen. Der Rest liegt bei Euch. Für den morgigen Tag rechne ich nur mit wenigen Aktivitäten; benachrichtigt mich aber, falls sie sich von oben anschleichen, sich mit Pulver an den Mauern zu schaffen machen oder falls sonst irgendwelche ungewöhnlichen Dinge vorgehen sollten.«
»Jawohl, Mylord«, antwortete Beaupre.
»Nun, meine Herren«, wandte Sir Mortimor sich an Jim und Brian, »was meint Ihr, sollen wir wieder hinuntergehen und zusehen, ob wir nicht ein Weilchen Ruhe haben?«
Eine Antwort wartete er gar nicht erst ab, sondern drehte sich um und schritt geradewegs zur Treppenöffnung, in der er verschwand. Jim und Brian folgten ihm.
9
»Beaupre dient mir bei Bedarf als Knappe«, bemerkte Sir Mortimor in ungewöhnlich leisem Ton.
Sie hatten wieder an der Tafel Platz genommen, vor ihnen standen drei randvolle Weinkelche. Sir Mortimor hatte solange gewartet, bis der Bedienstete, der sie gebracht hatte, wieder gegangen war.
»Wie die Dinge liegen«, fuhr der hochgewachsene Ritter fort, »handelt er als mein Stellvertreter. Sollte er Euch irgendwelche Anweisungen erteilen, bitte ich Euch, so zu verfahren, als stammten sie von mir. Für die nächsten ein, zwei Tage rechne ich mit keinen Vorstößen der Piraten. Zunächst einmal werden sie kein Risiko eingehen. Es könnte sein, daß von oben Steine auf den Turm geworfen werden oder daß man versuchen wird, vom Boden aus die Mauern zu durchbrechen, jedoch nichts Ernstes. Beaupre wird sich darum kümmern und Euch gegebenenfalls rufen.«
»Sir Mortimor«, sagte Brian in ruhigem Ton, »ich bitte um Verzeihung, sollte ich Euch mißverstanden haben. Aber mir scheint, Ihr erwartet von uns, daß wir als gegürtete Ritter unter dem Befehl eines Knappen kämpfen.«
»Das tue ich allerdings«, entgegnete Sir Mortimor, Brians Blick erwidernd. »Ihr kennt Euch nicht aus mit den Kriegen, die in diesem Teil der Welt ausgefochten werden; Beaupre hingegen schon. Ich versichere Euch, daß er es an der geziemenden Höflichkeit nicht fehlen lassen wird.«
»Darum geht es nicht, Sir Mortimor«, entgegnete Brian. »Ich denke doch, wir sind Eure Gäste?«
»So ist es«, antwortete Sir Mortimor. »Wie könnte es auch anders sein?«
»Eine andere Antwort habe ich von Euch auch nicht erwartet«, sagte Brian. »Allerdings erwarte ich von meinem Gastgeber auch, daß er mich persönlich um Hilfe bei der Verteidigung seiner Burg bittet, anstatt jemand Rangniederen damit zu betrauen.«
»Also gut«, sagte Sir Mortimor. »Dann bitte ich Euch um Euren Beistand.«
»Wenn das so ist«, erwiderte Brian, »wird es mir ein Vergnügen sein, Euch nach Kräften zu helfen.«
Jim entspannte sich wieder.
»Und mir ebenfalls, Sir Mortimor«, sagte er.
»Dann wären wir uns also einig, meine Herren«, meinte Sir Mortimor. Er erhob sich, ohne den Wein angerührt zu haben.
»Auch wenn ich Beaupre die Aufsicht über die Wachen überlassen habe«, sagte er, »ist es doch immer noch meine Burg, und ich allein habe das Sagen. Darum muß ich mich ständig auf dem laufenden halten und werde deshalb
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