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Drachenschwester 01 - Thubans Vermächtnis

Titel: Drachenschwester 01 - Thubans Vermächtnis
Autoren: Licia Troisi
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Bring mich endlich zu Lidja!«, forderte Sofia sie auf, während sie allen Mut zusammennahm.
    Mit einem rätselhaften Lächeln, das nicht aus ihrem Gesicht weichen wollte, sah Nida sie eine Weile an. Dann zeigte sie endlich auf eine Stelle oberhalb der Treppe.

22
    Thuban

    Ihr Anblick versetzte Sofia einen Stich ins Herz. Der violette Wintermantel, den sie an jenem verhängnisvollen Abend übergezogen hatte, war blutbefleckt und an mehreren Stellen zerrissen. Ihre Haut war so blass, wie sie es noch nie gesehen hatte. Aber sie war es, kein Zweifel.
    » Lidja!«
    Die Freundin rührte sich nicht, ihre Augen blieben geschlossen. Sofia wollte nicht gleich an das Schlimmste denken, doch eine düstere Vorahnung beschlich sie.
    » Mein Teil der Abmachung ist erfüllt. Gib mir die Frucht«, forderte Nida sie auf, während sie sich zu ihr umdrehte.
    » Kommt nicht infrage. Ich weiß doch gar nicht, wie es ihr geht. Was hast du mit ihr gemacht?«
    Für Todesangst oder die Kälte, die diese Villa ausstrahlte, war jetzt kein Platz mehr. Der Zustand ihrer Freundin, die zerschunden am Boden lag, hatte all das vertrieben.
    » Es geht ihr gut.«
    » Beweis es mir!« Mit beiden Händen presste Sofia den Beutel an den Oberkörper. » Beweis mir, dass sie lebt, oder du kriegst gar nichts.«
    Nida starrte sie aus kalten Augen an. » Sie schläft doch nur. Wir haben ihr kein Haar gekrümmt.«
    Sofia rührte sich nicht.
    » Na gut, meinetwegen! Geh zu ihr und überzeug dich selbst. Ich erlaube dir, sie dir anzuschauen, aber danach bekomme ich, was ich haben will.«
    Nida ging voraus, balancierte geschickt über die Mauerreste und Balken, die aus der Wand hervorstanden, während Sofia reglos verharrte und ihr zuschaute. Ihr Mund wurde immer trockener.
    » Was ist? Willst du nicht nachkommen?« Mit einem fiesen Lächeln drehte Nida sich zu ihr um. Auch von ihrer Höhenangst schien sie zu wissen.
    Sofia blieb keine andere Wahl. Wollte sie Lidja retten, musste sie zu ihr hinüber und sie holen.
    Vorsichtig tat sie die ersten Schritte. Die Balken schienen noch fest verankert, ragten aber mindestens drei Meter über dem Fußboden des darunter liegenden Raumes aus der Wand hervor. Sie blickte ins Leere und dann auf einen Mosaikfußboden tief unter ihr. Sofort begann sich in ihrem Kopf alles zu drehen und auch ihr Magen rebellierte. Einen Moment lang schloss sie die Augen, hob dann den Kopf und öffnete sie wieder. Sie durfte einfach nicht hinunterschauen, um nichts in der Welt. Dann würde es schon gehen.
    Sie dachte an die Models, die, starr geradeaus schauend, über den Laufsteg stolzierten, dachte an die Seiltänzer, die Schrittchen für Schrittchen in unglaublichen Höhen über Seile spazierten. Auch für Lidja wäre es ein Kinderspiel gewesen, dort hinüberzulaufen. Nur für sie nicht.
    » Wenn sie mich so sähe, würde sie sich vor Lachen nicht mehr einkriegen. Wie damals mit dem Elefanten. «
    So lenkte sie sich ab, mit einer Flut unwichtiger Gedanken, während sich der Raum, der sie von der Treppe trennte, immer weiter auszudehnen schien, bis ins Unendliche. Sie würde das Ziel niemals erreichen. Da knickte sie mit dem Fuß um, schrie auf und fiel nach vorn, konnte sich aber im letzten Moment mit den Händen an einem Mauervorsprung festklammern. So hing sie da und stöhnte verzweifelt.
    Nida, bereits ein gutes Stück weiter, drehte sich um und lachte fies: » Vielleicht willst du dich doch nicht mehr von der Verfassung deiner Freundin überzeugen. Aber das musst du ja auch nicht! Gib mir die Frucht und das alles bleibt dir erspart …«
    Sofia biss die Zähne zusammen. Sie fühlte sich furchtbar gedemütigt und wurde wütend. Und diese Wut war stärker als die Übelkeit und die Angst vor der Leere unter ihr. Sie stemmte sich hoch und sah sogar in die Tiefe. Es waren tatsächlich nur ein paar Meter bis zum Boden, aber ihr kamen sie wie Kilometer vor. Sie reckte den Kopf, holte tief Luft und hastete los. Die Balken schwankten, und je weiter sie kam, desto unsicherer wurden ihre Schritte.
    Das schaffe ich! Das schaffe ich! Das schaffe ich!
    Einen Meter noch, da verlor sie den Halt. Ein Ziegelstein löste sich aus der Mauer und ihr rechter Fuß rutschte ab. Sie sprang. Schon fühlte sie das Nichts unter sich und wie ihr Magen hochhüpfte. Eine halbe Sekunde lang flog sie, und dabei überkamen sie die Erinnerung an die weiße Stadt und das befreiende Gefühl, das sie während ihrer Träume erfüllt hatte. Sie landete unsanft auf der Treppe
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