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Drachenschwester 01 - Thubans Vermächtnis

Titel: Drachenschwester 01 - Thubans Vermächtnis
Autoren: Licia Troisi
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Finsternis. Da erkannte sie, wie eine schmächtigere Gestalt aus dem Dunkel hinter der Brüstung hervortrat. Es war das blonde Mädchen, wie üblich mit ihrer Lederjacke und dem engen Minirock bekleidet. Dazu trug sie schwarze Schuhe mit hohen Absätzen. Das Mondlicht, das auf ihr Haar fiel, reflektierte derart, dass es wie ein Heiligenschein aussah. Sie lächelte und Sofia fühlte sich winzig unter ihrem siegesgewissen Blick. Aber sie würde nicht aufgeben. Den Beutel fest an die Brust gepresst, stützte sie sich mit einer Hand auf und stemmte sich hoch. Ihre Knie waren verschrammt, und ein paar Tränen hatten sich gelöst, die sie flugs wegwischte. Dann ging sie mit forschen Schritten auf die andere zu.
    Ohne den verächtlichen Blick von ihr abzuwenden, wartete die Blonde auf sie. Erst als Sofia unter der Brüstung stand, rührte sie sich und stieg langsam die Stufen hinunter. Elegant, fast majestätisch wirkten ihre Bewegungen, und Sofia verstand, wieso Mattia sich von dieser Frau hatte verzaubern lassen. Sie selbst hätte auch nicht gleich gespürt, welche Niedertracht sich unter dieser faszinierenden Hülle verbarg. Jetzt musste sie aufpassen, wenn sie nicht das gleiche Ende wie der Junge nehmen wollte.
    » Hallo, ich bin Nidafjoll«, sagte die junge Frau lächelnd und reichte ihr freundlich die Hand.
    Sofia wusste nicht, was sie davon halten sollte. Noch fester presste sie den Beutel mit der Frucht an ihre Brust.
    » Aber du kannst ruhig Nida zu mir sagen«, fügte die Frau weiter lächelnd hinzu und neigte sich zu ihr vor.
    Dieses Lächeln wirkte so herzlich, so verflucht ehrlich, so glaubhaft … Und doch jagte es Sofia einen Schauer über den Rücken. Sie wich zurück.
    » Was hast du denn? Ich hab mich doch nur vorgestellt«, fuhr Nida achselzuckend fort. » Aber ich sehe schon, du lässt dich so von deiner Furcht beherrschen, dass du es gar nicht gemerkt hast.«
    Wütend biss sich Sofia auf die Lippen. Also war ihre verdammte Angst so offensichtlich, dass jeder sie gleich spürte.
    » Ja, Angst ist dein Problem. Das weiß ich. Und ich weiß noch viel mehr. Ich weiß, wo du geboren bist, wo du gelebt hast, sogar wo du dich derzeit versteckst, hinter dieser verdammten Barriere … Ich weiß alles über dich. Du hingegen weißt nichts von mir. Deswegen habe ich mich vorgestellt, aus reiner Höflichkeit. Ich bin nämlich ein netter Mensch.«
    » Nein, du bist Nidhoggr«, entfuhr es Sofia.
    Nida lachte laut auf und nahm dabei die Hand vor den Mund, eine Geste, die jeder Junge wahrscheinlich unwiderstehlich gefunden hätte. » Und du bist Thuban? Glaubst du das wirklich?«
    Sie lachte noch einmal spöttisch, nun etwas leiser.
    » O nein, so weit wie die Drachen hat sich mein Herr und Meister niemals erniedrigt: sich ganz klein machen, in Menschengestalt schlüpfen und ihr Äußeres annehmen. Ausgeschlossen. Nein, Nidhoggrs Wesen ist noch intakt, wenn auch unterirdisch, in derselben Gestalt, die er vor dreißigtausend Jahren besaß, als er dich tötete, Thuban.«
    Sofia erschauderte, und plötzlich schmerzte noch einmal in ihrem Fleisch jede einzelne Wunde, die an jenem entsetzlichen Tag zu Thubans Tod geführt hatte.
    » Trotzdem hast du irgendwie recht. Ich bin er. Oder genauer: Ich bin seine Tochter. Nidhoggrs Essenz war zu gewaltig, um völlig von dem Siegel verbannt zu werden, das du ihm auferlegt hattest. Sie drängte hinaus, fand nach und nach Spalten und konnte teilweise entweichen. Ich bin eine Erscheinungsform Nidhoggrs in dieser Welt, ich bin das, was sich dem Siegel entzog. Ich bin seine Gesandte, seine Sklavin, ich verkünde sein Kommen.«
    Nidas Augen strahlten vor Stolz. Aber Sofia versuchte, sich nicht beeindrucken zu lassen, obwohl ihre Beine so heftig zitterten, dass sie kaum aufrecht stehen konnte.
    » Wo ist Lidja?«, fragte sie und bemühte sich dabei, selbstbewusst zu klingen.
    » Wo ist die Frucht?«, erwiderte Nida lächelnd.
    » Die kriegst du erst, wenn ich sehe, dass es Lidja gut geht.«
    Das Mädchen grinste verächtlich. » Deine Lage erlaubt es dir nicht, Bedingungen zu stellen. Ich kann dich jederzeit töten und mir die Frucht einfach nehmen, indem ich deine Leiche absuche.«
    Ein erneuter Schauder durchlief Sofia. » Du kannst mir nichts anhaben«, rief sie. Doch ihre Stimme zitterte.
    » Ach nein?«
    Nida streckte einen Arm aus und richtete den Finger auf Sofia, die unwillkürlich die Augen schloss und inständig hoffte, dass der Brustpanzer, der ihren Körper einschnürte, seine
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