Drachenschwester 01 - Thubans Vermächtnis
Aufgabe erfüllen würde.
Sie spürte, wie ein leichter Druck von diesem Finger ausging und dann plötzlich nachließ. Als sie die Augen öffnete, war Nidas Lächeln verflogen und Verärgerung gewichen.
» Verdammt …«, murmelte sie vor sich hin, zuckte dann aber mit den Achseln und gewann ihre Selbstbeherrschung zurück. » Auch nicht schlimm. Machen wir es eben so, wie du es verlangst. Folge mir«, sagte sie, wobei sie so nahe an Sofia herankam, dass ihre Lippen deren Ohr streiften, und ging dann voran.
Verschlossene Türen gab es für Nida nicht. Egal um welches Schloss es sich handelte, sie brauchte nur die Hand darauf zu legen, und es öffnete sich. So gelangte sie zu einem kleinen Hängegarten, der auf eine breite Terrasse hinausging, die einen fantastischen Blick auf ganz Rom bot. Jetzt in der Nacht breitete sich die Stadt wie ein flackerndes Lichtermeer vor ihnen aus, das den gesamten Horizont einnahm. Im Garten gab es einen kleinen Springbrunnen sowie richtige Bäume und Sträucher, darunter eine prachtvolle Magnolie und eine turmhohe Palme. Das Wasser im Brunnen sprudelte nicht, sondern war erstarrt, wie auf einem Foto oder als sei es eingefroren. Einige Tropfen schwebten sogar in der Luft.
Von dort aus gingen sie weiter durch eine endlose Flucht herrlich ausgestatteter und mit Fresken verzierter Säle. In einem Raum fielen Sofia zwei steinerne Frauenfiguren auf, die vom Mondlicht sanft beschienen wurden. Wunderschön sahen sie aus, und trotz des Halbdunkels gelang es Sofia sogar, ihre Gesichtszüge auszumachen. Angesichts dieser prachtvollen Räume verstand Sofia, was der Professor gemeint hatte, als er diese Villa als Kleinod bezeichnete. Trotzdem blieb sie seltsam unberührt von all der Schönheit. Mit dem letzten Glockenschlag war die Zeit stehengeblieben, und auch diese Pracht war leblos, wirkte unpersönlich, kalt.
» Hier hat mein Herr gelebt«, erklärte Nida, während sie Sofia durch die Säle führte, die immer kleiner wurden, je weiter sie vordrangen. » Unter den Grundmauern dieser Villa liegt sein Domizil, das zum großen Teil noch erhalten ist. Nachdem du ihn durch dein Siegel verbannt hattest, zogen seine Getreuen hierher. Über viele Jahrhunderte hat sein Geist diese Mauern durchtränkt und damit den Willen seiner Anhänger gelenkt. Nicht immer gelang es ihm allerdings, seine Ziele durchzusetzen, und so kamen schließlich Leute hierher, die diese Villa erbauten, in der wir jetzt sind: die Villa Mondragone, so nannten unsere Feinde sie. Aber vielleicht hast du es bemerkt: Die Statuen und Bilder, die die Künstler jener Zeit schufen, zeigen immer nur ihn.«
Damit deutete sie auf den Architrav über einer Tür, der mit einem wunderschönen Relief verziert war. Dargestellt war ein Tier, dessen Kopf und Körper an einen Drachen erinnerten, dass aber statt der Vorderpranken Fledermausflügel besaß.
» Den Lindwurm.«
Das Echo dieses Wortes drang tief ein in Sofias Herz und ließ es erstarren. » Bring mich endlich zu Lidja. Wir sollten zur Sache kommen. Oder interessiert dich die Frucht nicht mehr?«
Lachend blickte Nida sie aus den Augenwinkeln an. » Warum so forsch? Beruhig dich, wir sind fast da.«
Sie traten durch eine Tür und standen in einem Raum, der völlig anders als all die anderen war. Keine schönen glatten Fußböden mehr, dafür überall Staub und Putz, der von den Wänden gebröckelt war. Offenbar befanden sie sich in dem Teil der Villa, der für Besucher gesperrt war. In den Räumen war es dunkel, Scherben von zerborstenen Lampen lagen auf dem aufgerissenen Fußboden. Zwischen den gebrochenen Fliesen wuchs Unkraut, und Efeu hatte sich durch Ritzen im Mauerwerk gekämpft. Schließlich gelangten sie in einen Saal mit abgeblätterten Wänden, von dem eine breite Treppe zum oberen Stockwerk hinaufführte. In früheren Zeiten musste er prachtvoll gewesen sein, doch nun wirkte er nur noch marode und düster. An vielen Stellen lagen die blanken Ziegelsteine, während der Fußboden nicht mehr vorhanden war. Stattdessen blickte man das Untergeschoss hinunter, das aus römischen Ruinen zu bestehen schien. Wie der Professor gesagt hatte, gab es also wirklich antike Grundmauern unter der Villa. Nur über schmale Holzbohlen konnte man zur anderen Seite gelangen oder man balancierte dicht an der Wand entlang zur Treppe.
Schwindel und Übelkeit erfassten Sofia. Denn die Räume waren hoch und zu ihren Füßen ging es einige Meter in die Tiefe. Belustigt blickte Nida sie an.
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