Drachenschwester 01 - Thubans Vermächtnis
die dort lebten. Sein Ziel war es, die Macht seiner Rasse auszudehnen und sich alles untertan zu machen. So kam es zum Krieg.«
Das alles hörte sich wie irgendeine Sage an, wie die typische Handlung eines Fantasyromans. Vielleicht hätte sie Sofia sogar gefallen, wäre sie nicht eine der Hauptfiguren dieser wirren Geschichte gewesen.
» Von Nidhoggr aufgewiegelt, erklärten die Lindwürmer den Drachen den Krieg, und es kam zu verheerenden Schlachten mit gewaltigen Verlusten auf beiden Seiten. Als Nidhoggr dann erkannte, dass keines der beiden Heere die Oberhand gewinnen konnte, verfiel er auf die Idee, den Weltenbaum zu vernichten. Das heißt, er zerfraß seine Wurzeln, und der Baum welkte dahin und verlor alle seine Früchte. Angesichts dieses Frevels bündelten die verbliebenen Drachen all ihre Kräfte und entfesselten einen Angriff, wie die Welt ihn noch nie erlebt hatte. Und jetzt wurden auch die Menschen in den Kampf mit hineingezogen. Vor allem Nidhoggr war es, der sie zu seinen Zwecken missbrauchte. Seit Langem war ihm eine krankhafte Leidenschaft für alles Metallische eigen. In zahlreichen Minen ließ er von seinen Untertanen Erze abbauen und nutzte deren Metall zur Herstellung von Waffen und Rüstungen. Aber nicht nur das: Zudem ließ er eigentümliche winzige Geräte anfertigen, die Menschen eingepflanzt wurden und sie auf diese Weise zu unbesiegbaren Kriegern machten. Wem auch immer ein solches Metallteil eingesetzt wurde, verlor seinen eigenen Willen, erlangte dafür aber ungeheure körperliche Kräfte. So entstand ein ganzes Heer von Kämpfern, das Heer der sogenannten Unterjochten. Und diesem gehört auch der Junge an, der dich heute Abend angegriffen hat.«
Sofia sah wieder das ausdruckslose Gesicht dieses Jungen vor sich und schüttelte sich.
» Die Drachen hingegen wählten einen anderen Weg. Sie verbündeten sich mit jenen Menschen, die ebenfalls bestrebt waren, das alte natürliche Gleichgewicht zu bewahren und den Frieden wiederherzustellen, Menschen, die die Natur liebten und den Weltenbaum verehrten. So kämpften diese beiden Geschlechter Seite an Seite, und ihre Verbundenheit war so groß, dass sie in aussichtsloser Lage, als alles verloren schien und selbst die Schutzdrachen bereits überwältigt waren, miteinander verschmolzen. Das heißt, die Schutzdrachen beschlossen, in den Menschen weiterzuleben und diesen ihren Geist einzugeben. Dazu muss man wissen, dass Drachen ein sogenanntes › Auge des Geistes ‹ besitzen, eine Art Edelstein, der in ihre Stirn eingelassen ist.«
Sofia schluckte, weil sie unwillkürlich an ihren Leberfleck auf der Stirn denken musste, der immer noch schwach pulsierte.
» Der hat nichts damit zu tun, lass dir nichts einreden « , versuchte sie sich immer wieder zu sagen. Sie wollte noch nicht klein beigeben, und deshalb hörte sie sich diese absurde Geschichte zwar fasziniert an, aber nur so, als würde man ihr irgendeine spannende Sage erzählen.
Der Professor fuhr fort: » Und über diesen Edelstein hauchten sie nun den Auserwählten ihren Geist ein, um sicherzustellen, dass nach ihnen andere Geschöpfe das Werk der Drachen fortsetzen und sich der Übermacht der Lindwürmer entgegenstellen würden.«
Sofia verspürte einen dumpfen Schmerz im Unterleib. Diese Geschichte ging sie etwas an. Entgegen aller Logik, aber auch ohne dass sie sich hätte entziehen können, spürte sie, dass sie diese Geschichte bereits kannte.
» Bin ich etwa so eine Auserwählte? Habe ich einen Drachen in mir?«, fragte sie mit kaum vernehmlicher Stimme.
Der Professor nickte feierlich. » Ja. Du stammst in direkter Linie von Lung ab, einem Menschen, der in Drakonien, der Hauptstadt des Drachenreiches, unter Drachen aufwuchs. Dieser junge Mann hatte lange an deren Seite gekämpft und nahm auch an der großen Entscheidungsschlacht teil. Damals kämpfte Thuban, der mächtigste Drache seiner Art, gegen den fürchterlichen Nidhoggr. Es war ein ungeheuerlicher Kampf, der die Erde bis ins Mark erschütterte. Thuban wehrte sich bis zum letzten Atemzug, aber als er merkte, dass er unterliegen würde, nutzte er seine letzten Kräfte, um den Feind festzusetzen. Mit einem mächtigen Zauber verbannte er Nidhoggr unter die Erde und verwehrte es ihm auf diese Weise, sein Vernichtungswerk fortzuführen oder auch nur mit der Außenwelt in Verbindung zu treten. Und dieser Zauber, dieses Siegel, sorgt auch heute noch dafür, dass ihm der Zugang zu dieser Welt, im Vollbesitz seiner Kräfte und in
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