Drachenschwester 01 - Thubans Vermächtnis
seiner wahren Gestalt, versperrt ist. Aber die Wirkung des Siegels lässt bereits nach und es wird nicht bis in alle Ewigkeit halten. Nidhoggrs Macht ist ungeheuer, und Thuban wusste von Beginn an, dass sein Zauber mit der Zeit immer schwächer werden und sich irgendwann ganz auflösen würde. Es ist Nidhoggr bereits gelungen, die Welt wieder mit seinem bösen Geist zu infizieren und das Feld für seine bevorstehende Wiederkehr zu bereiten. Leider weiß er auch, dass die Drachen nicht ganz ausgestorben sind, sondern schlummernd in den Körpern der Auserwählten weiterleben. Aus diesem Grund hat er einen seiner Knechte ausgesandt, um dich töten zu lassen.«
» Und was ist aus Thuban geworden?«
» Bevor er starb, verschmolz er mit Lung und übertrug ihm die Aufgabe, über das Siegel zu wachen«, antwortete der Professor bekümmert. » Ja, Sofia, Lung ist dein Vorfahre. Und das bedeutet: In dir lebt noch immer der mächtigste Drache, den es je gegeben hat.«
Sofia legte eine Hand auf die Brust. Sie spürte nichts, überhaupt nichts. Keinerlei Kräfte, keine seltsame Hitze und vor allem nicht die Gegenwart irgendeines anderen Wesens. Nur Stille. Nein, da steckte kein Thuban und der Professor war übergeschnappt und fabulierte wirres Zeug daher. » Von einem Drachen spüre ich nichts, da ist nichts«, erklärte sie überzeugt.
Professor Schlafen schaute sie mit einem betrübten Lächeln an. » Ich weiß, es ist nicht leicht, diese Wahrheit anzunehmen. Das kam doch alles viel zu schnell für dich …«
Sofia schüttelte den Kopf. » Da gibt es überhaupt nichts anzunehmen. Was Sie mir da erzählen, ist einfach nur irre. So was gibt’s höchstens im Film.«
Der Professor antwortete nicht, streckte stattdessen einen Finger zu ihr aus und berührte das Muttermal auf ihrer Stirn. » Das hier ist das Auge des Geistes, das auch Lung einst besaß. Aber er erhielt es erst, als er mit Thuban verschmolz. Du hast sicher geglaubt, es handele sich um einen gewöhnlichen Leberfleck. Aber es ist das Erkennungszeichen der Drakonianer. Vielleicht ist es ja auch schon mal jemandem aufgefallen.«
Mit einem Finger betastete Sofia das Mal. Ganz warm und hart fühlte es sich plötzlich an. » Ja, einem Arzt im Waisenhaus …«, antwortete sie dann. » Er hat es sich lange angeschaut und mich danach gefragt. Aber Genaueres konnte er nicht feststellen.«
Der Professor stand auf, holte etwas aus einer Schublade und setzte sich wieder zu ihr. In der Hand hatte er einen Spiegel. Er hielt ihn hoch. » Es ist klar, dass er nichts finden konnte. Denn erst wenn du die Kräfte, die dir als Drakonianerin gegeben sind, voll ausschöpfst, offenbart das Auge des Geistes seine wahre Natur.«
Als Sofia ihr Spiegelbild betrachtete, schrak sie zurück: Statt ihres Muttermals saß dort nun eine Art grün glitzernder Edelstein, der heftig pulsierte, und eine kalte Angst umklammerte ihre Schläfen. » Das ist doch nicht möglich …«
» Doch. In diesem Stein sammelt sich die Essenz Thubans.«
Das Mädchen fuhr mit den Fingern darüber. Es war ein eigenartiges Gefühl, so als gehöre er gar nicht zu ihr und ihrem müden Allerweltsgesicht. » Und wenn dieser Thuban tatsächlich in mir stecken sollte, was bedeutet das für mich?«
Der Professor legte den Spiegel zurück. » Das Wichtigste ist, dass du damit über ganz besondere Kräfte verfügst. Und heute hast du sie bereits gegen den Angreifer genutzt. Du hast die Macht, aus dem Nichts Pflanzen sprießen zu lassen. Diese Schlingpflanzen, die den Jungen aufhielten und die ihm fast einen Flügel zerrissen, hast du allein geschaffen. Es ist die Macht, Leben zu erhalten und entstehen zu lassen, die Macht des Weltenbaums.«
Unwillkürlich ballte Sofia die Hand zur Faust, wie um daraus eine Pflanze oder eine Blüte hervorsprießen zu lassen.
» Aber das ist noch nicht alles. Dein Körper kann sich so verwandeln, dass dir Flügel wachsen, und wenn du Thubans Kräfte völlig ausschöpfst, kannst du seinen ganzen Körper erlangen.«
» Wollen Sie etwa damit sagen, dass ich ein Drache werden kann?«
Der Professor nickte und blickte ihr dabei fest in die Augen. Plötzlich wusste Sofia nicht mehr, wer sie war. Vor allem ihren Körper empfand sie als etwas Fremdes, das sich jederzeit ihrer Kontrolle entziehen konnte.
» Allerdings ist es dazu unerlässlich, dass du sehr hart trainierst. Bei dem Überfall hast du rein instinktiv gehandelt. Aber auf diese Weise kannst du nur einen Teil deiner Kräfte nutzen.
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