Drachenschwester 02 - Eltanins Verrat
Drache in ihm an die Jahre in Drakonien und daran, wie er mit diesem Mädchen gespielt hatte. Wehmut schnürte ihm die Kehle zu.
Idhunn neigte sich in ihrem Käfig zu ihm vor. »Ich wusste, dass du zurückkommen würdest«, sagte sie. »Die Frucht gehört dir, du musst sie nutzen. Ich hatte sie für dich aufgehoben, wie ich es versprochen habe.«
»Ich … ich weiß aber nicht, wie ich sie benutzen soll. Dabei liegt dort hinten … jemand im Sterben.« Fabio schluckte. »Und Rastaban kämpft verzweifelt gegen das Ungeheuer«, fügte er mit zitternder Stimme hinzu.
»Doch, du weißt es. Du weißt, was du tun musst«, antwortete Idhunn ruhig. »Alle Drakonianer können die Kräfte der Früchte freisetzen und sich ihrer bedienen. Dazu musst du dich nur daran erinnern, was du damals tatest, als du noch ein Drache warst und den Weltenbaum beschützt hast.«
Fabio presste die Frucht an die Brust und betete. Betete, dass ihm seine Fehler verziehen würden, dass all das Unheil, das er mit seinen Taten über andere gebracht hatte, ungeschehen zu machen sei, dass Idhunn freikommen und dieser Albtraum endlich aufhören möge.
Und das Wunder geschah. Die Frucht in seinen Händen vibrierte und erstrahlte in einem goldenen Licht, das alles einhüllte und in seinem ungeheuren Glanz auflöste. Idhunns Gefängnis verschwand. Dann pflanzte sich das Licht weiter fort, schluckte diesen entsetzlichen Wald und verbrannte ihn in seiner Hitze. Der Saft in den Stämmen stockte, die Wurzeln verdorrten und die Blätter vergilbten. Es hörte auf zu schneien, der zerstörerische Wald zog sich zurück und verschwand in dem Nichts, aus dem er gekommen war.
Wie die Welle einer Sturmflut überschwemmte das Licht auch die Stelle, wo Lidja und Ratatoskr immer noch kämpften. Lidja war mit ihren Kräften am Ende und kurz davor, dem Ungeheuer zu unterliegen. Da umfing das Licht sie, und sie sog seine ganze Energie in sich auf. Das Ungeheuer Ratatoskr hingegen brüllte auf, denn das grelle Licht hatte ihn mit einem Mal all seiner Kräfte beraubt, und seine Schuppen brannten.
Fabio schloss die Augen, und ein Gefühl ruhigen Wohlbehagens überkam ihn. So gut hatte er sich noch nie gefühlt. Da trat in dem blendenden Licht, das ihn umgab, plötzlich Idhunn auf ihn zu. Sie war frei und endlich sie selbst, in ihrem weißen langen Gewand, das sanft ihren Körper umspielte, während ihre nackten Arme locker herunterhingen. Glücklich lächelte sie ihn an.
»Ich wusste, dass du dein Versprechen halten würdest«, sagte sie.
Als er sie so vor sich sah, überkam Fabio Angst, Angst vor dem, was er gewesen war und vor dem, was er getan hatte. »Gleich zweimal habe ich euch verraten«, sagte er mit zitternder Stimme.
»Aber letztendlich hast du uns alle gerettet.«
»Ich habe Schmerz und Tod verursacht. Solche Taten kann man nicht einfach ungeschehen machen.«
»Aber du hast selbst gelitten, und das über eine lange Zeit.« Idhunn legte ihm eine Hand aufs Herz. »Ich weiß, was du gefühlt hast, ich weiß, warum du es getan hast.«
Dann umarmte sie ihn, ganz fest, ganz liebevoll, und Fabio überließ sich dem Gefühl dieser Berührung. Sie war es tatsächlich, Idhunn, in Fleisch und Blut, genauso wie damals, als er sie vor Jahrtausenden verlassen hatte. Die Kraft der Frucht hatte sie all die lange Zeit beschützt.
»Jetzt bist du zu Hause«, sagte Idhunn und löste sich von ihm. Neben ihr stand die alte Frau. Auch sie strahlte glücklich, so, als habe sie endlich den lange vergeblich gesuchten Frieden gefunden.
»Und nun?«, fragte Fabio.
»Das liegt an dir, so wie immer«, antwortete Idhunn. »Jetzt beginnt dein neues Leben. Aber wir sehen uns heute nicht zum letzten Mal. Das verspreche ich dir. Wenn dieser Krieg vorbei ist und wir gesiegt haben, werde ich bei dir in Drakonien sein.«
Das Mädchen ergriff die Hand ihrer Mutter. Lächelnd schauten sie sich an und lösten sich dann in dem reinen Licht auf.
Schlagartig wurde es dunkel, und als Fabio wieder etwas erkennen konnte, befand er sich in Benevent, vor dem Obelisken. Es war Nacht, und weißer Schnee fiel vom Himmel. Dann bemerkte er die beiden Gestalten ganz in seiner Nähe. Es waren die Drachenschwestern.
Sofia lag in einer Blutlache am Boden und war leichenblass. Lidja neben ihr hielt ihre Hände und weinte, von Schluchzern geschüttelt. Mit verzweifelter Miene schaute sie zu Fabio.
»Sie ist tot!«, schrie sie. »Sofia ist tot!«
21
Eine heilende Kraft
Einen Moment stand Fabio benommen
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