Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition)
sie endlich die Höhlenwand erreichte. Janica erhob sich, in der Hoffnung, der Drache möge sie hier nicht sehen. Vielleicht hatte diese Höhle einen zweiten Eingang. Vielleicht konnte sie sich irgendwo verstecken. Vielleicht gab es Hoffnung, zu überleben.
Inzwischen war es zu dunkel, um irgendetwas zu erkennen. Janica tastete sich an der Felsenwand entlang. Die hübschen Seidenpantöffelchen hatte sie natürlich längst verloren, und so bohrte sich jedes Steinchen auf dem Boden erbarmungslos in ihre weichen Fußsohlen. Janica biss sich auf die Unterlippe, um nicht bei jedem neuen Schritt zu stöhnen. Noch ein Schritt, noch einer - sie stutzte. Ihre Hände hatten etwas ertastet, was nicht zu dieser Höhle gehörte. Oder doch? Das waren eindeutig Holzbohlen, glattgehobelte Holzbohlen. Dann kühles Metall. Eine Türklinke? Janica drückte das Teil mit beiden Händen herunter. Nahezu lautlos und unerwartet leicht schwang die mächtige Tür auf. Janica stolperte und fiel auf die Knie - geradewegs in ein warmes gelbes Licht hinein.
»Da bist du ja endlich! Mach' die Tür zu, es ist kalt draußen!«
Janica erstarrte, weil sie nicht wusste, was sie mehr schockiert hatte - die Reise im Drachenmaul oder diese Begrüßung. Um bei klarem Verstand zu bleiben, war es sicher besser, nicht darüber nachzudenken, wo sie jetzt hingeraten und wer bei allen Göttern dieser Bursche da war! Wie eine Statue hockte sie auf dem Boden und blickte zu dem jungen Mann auf, der sich mit sichtlichem Widerwillen von einem Sessel erhob und an ihr vorbeiging, um das Bohlentor zuzudrücken.
»Immer das Gleiche mit euch Mädchen! Versteht nicht mal eine kleine harmlose Anweisung!« Er blieb in gebührender Entfernung vor Janica stehen, rümpfte die Nase und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Mein Onkel sabbert wirklich furchtbar, und die Sache mit dem Mundgeruch bekommt er auch nicht in den Griff! Dort hinten steht ein Bottich mit warmen Wasser, Seife und ein Tuch zum Abtrocknen liegen bereit. Du solltest das Angebot annehmen und dich säubern, dann reden wir weiter!«
Janica war viel zu verblüfft, um etwas zu erwidern. Dieser Mann hatte vollkommen recht, sie hatte wirklich ein Bad nötig. Überall auf ihrer Haut haftete hellgrüner stinkender Drachenspeichel, und ihr Haar wagte sie gar nicht erst zu betasten. Irgendetwas Schleimiges rann ihr gerade den Nacken hinab. Sie holte tief Luft, richtete sich auf und tappte gehorsam zu dem dampfenden Zuber. Das Wasser war ein klein wenig zu heiß, aber Janica hatte an diesem Tag schon Schlimmeres ertragen. Ein wohliges Gefühl überkam sie, als sie untertauchte, um ihr Haar zu spülen. Das Seifenstück duftete wie ein ganzer Blumengarten und gab feinen cremigen Schaum ab. Ein kleines Kichern hockte in Janicas Kehle - das hier war tatsächlich das dritte Bad, was sie an diesem Tag nahm. Am Morgen hatte sich Gerun damit abgemüht, vor dem Opfergang die Hofdamen. Jetzt würde Janica allein mit der Toilette fertigwerden müssen. Sie brauchte eine ganze Weile, um die Reste des Viehstricks, mit dem Nadif sie gebunden hatte, von ihren Handgelenken zu nesteln. Dann wickelte sie sich ihre langen Haarsträhnen um die Hand und drückte das Wasser heraus. Vorsichtig blickte sie sich nach dem Mann um. Der stand noch immer mitten in dem riesigen Raum und betrachtete Janica völlig ungeniert. Sie rutschte wieder etwas tiefer in den Bottich, weil sie sich ihrer Nacktheit bewusst wurde.
»Jetzt komm' schon raus! Du bist nicht das erste nackte Mädchen, das ich zu Gesicht bekomme!« Er grinste und strich sich eine Strähne seines rabenschwarzen Haares aus der Stirn.
Janica angelte nach dem Tuch, das auf dem Stuhl neben dem Zuber hing. So rasch es nur ging, stieg sie aus dem Wasser und wickelte sich darin ein. Und nun? Sollte sie etwa so herumlaufen?
»Weißt du, wer immer du auch sein magst, ich habe das langsam satt! Seit heute morgen muss ich mich ständig umziehen, mich von wildfremden Männern nackt begaffen lassen und ein Bad nach dem anderen nehmen! Wann wird der verdammte Drache mich endlich auffressen, damit das ein Ende hat?«, grummelte sie biestig. Der junge Mann wirkte ein wenig verblüfft, dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht.
»Da muss ich dich leider enttäuschen, Mädchen! Mein Onkel Kajim ist Vegetarier. Er gerät schon außer sich, wenn er in seinem Salat eine Schnecke findet. Stell dir vor, was hier los wäre, wenn ich ihm eine knusprig geröstete Jungfrau servieren würde!«
Janica
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