Drachenspiele - Roman
Erdnüsse hinzu. Kurz darauf stand das Gong-Bao-Huhn dampfend auf dem Tisch, die Fleischwürfel waren mit einer dünnen Schicht hellbrauner Sauce überzogen, dazwischen die dunkelroten Chilischoten - es sah köstlich aus.
Christine nahm lauwarmen Reis aus dem Kocher und tat auf. Sie saÃen sich schweigend gegenüber, plötzlich reckte sich Paul weit über den Tisch und gab ihr einen Kuss. »Danke.«
»Wofür? Du hast doch gekocht.«
»Für alles.«
Sie nahm zwei Stückchen Huhn und lieà sie in ihrem Mund verschwinden. »Wusstest du eigentlich«, fragte sie genüsslich kauend, »dass dieses Essen während der Kulturrevolution einen anderen Namen hatte? Es hieà âºSchnell frittierte Hühnerwürfelâ¹.«
Paul schüttelte den Kopf. »Warum?«
»Weil es nach einem Beamten aus der Qing-Dynastie benannt ist.«
Er verschluckte sich fast. »Ich vermute, es gibt nicht viele Länder, in denen sogar Gerichte in politische Ungnade fallen können.«
Christine balancierte eine Erdnuss zwischen ihren Stäbchen und schob sie ihm in den Mund. »Was willst du eigentlich in Shanghai? Du glaubst doch nicht, dass du herausfinden kannst, wer für ihr Verschwinden verantwortlich ist?«
»Nein, wahrscheinlich nicht. Ich will mit Weidenfeller und Xiao Hu reden und überlegen, was wir machen können. Und ich möchte nach Yiwu fahren, um mit deinem Bruder zu sprechen. Ich weià nicht, wie er reagiert, wenn er erfährt, was mit Yin-Yin passiert ist. Sein Sohn wird keine groÃe Hilfe sein, fürchte ich.«
»Das stimmt.«
»Du hast nichts dagegen?«, wunderte er sich.
»Würde das etwas ändern?« Christine war klug genug, keine Antwort auf ihre Frage zu erwarten. Sie fuhr fort: »Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, aber du sagst doch immer, ich soll mir keine Sorgen machen.«
»Musst du auch nicht. Im schlimmsten Fall weisen sie mich aus und schicken mich zurück nach Hongkong.«
»Ich spüre tatsächlich zum ersten Mal so etwas wie Verantwortung der Familie meines Bruders gegenüber. Ich bin
dir dankbar, dass du hilfst.« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Wann willst du los?«
»Morgen.«
»Hast du das Amulett meines GroÃvaters dabei?«
Paul holte es unter seinem weiÃen T-Shirt hervor: »Immer.«
»Soll ich mitkommen?«
»Du? Als Schwangere? Auf keinen Fall. AuÃerdem bin ich in drei Tagen wieder zurück.«
»Was ich dich noch fragen wollte: Welche Art von Grundlagenforschung betreibst du eigentlich?« Ihr verschmitztes Lächeln.
»Ãber die Grundlagen des Lebens«, erwiderte Paul mit ernster Miene.
»Geht es etwas genauer?«, fragte sie neugierig.
»Wer wir sind. Was uns zu dem gemacht hat, der wir sind. Was uns am Leben hält, abgesehen von Nahrung natürlich. Also eigentlich über die achtundachtzig Formen der Liebe.«
»Die achtundachtzig Formen der Liebe?«, wiederholte sie, unsicher, ob er sich mal wieder einen seiner Scherze erlaubte, die sie nicht verstand. »Gibt es so viele?«
»Noch viel mehr. Das sind nur die uns zurzeit bekannten. Aber es ist wie so oft in der Forschung: Je mehr man herausfindet, desto besser versteht man eigentlich nur, wie wenig man weiÃ.«
Christine neigte den Kopf zur Seite und schaute ihn an: »Paul, ich habe keine Ahnung, wovon du redest.«
»Im Augenblick«, fuhr er unbeirrt fort, »bereiten ich und mein Team einen Langzeitversuch vor. Wir haben einen Probanden, dreiundfünfzig Jahre alt, geschieden, Einzelgänger aus Ãberzeugung oder vom Leben dazu gemacht, so genau wissen wir es nicht, der, mit einer Unterbrechung von neun
Jahren, seit kurz nach seinem neunzehnten Geburtstag alleine lebt, unter Bindungs- und Verlustangst leidet, sowohl zu seinem Vater als auch zu seiner Mutter ein, sagen wir, kompliziertes Verhältnis hatte, was dazu führte, dass er jeder Form von Familie eher ablehnend gegenübersteht. Ein tragischer Schicksalsschlag hat ihn für drei Jahre zu einem Einsiedler gemacht. Dieser Mensch beginnt eine Beziehung mit einer zehn Jahre jüngeren Frau, die bereits einen Sohn von einem anderen Mann hat, die beiden bekommen ein gemeinsames Kind; alle vier plus die Mutter dieser Frau sollen nun als Familie zusammenleben. Eine groÃe Herausforderung, vielleicht die gröÃte seines Lebens. Wir sind sicher, dass unser
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