Drachenspiele - Roman
wertvollster Spieler der NBA zu werden, über die Vorzüge der neuen VW-Passat-Serie, und erst zum Schluss erwähnte der Mann aus Hunan ganz nebenbei die Schwester seiner Frau. Eine begabte, junge Rechtsanwältin, die Xiao Hu unbedingt einmal kennen lernen müsse. Sie wolle nach Shanghai und brauche dringend einen Job. Und eine Wohnung würde sie gern kaufen. China Life habe doch in mehrere groÃe Bauvorhaben investiert und sicher vorzügliche Kontakte zu den Bauträgern und â¦
Der Parteikader musste nicht weitersprechen, Xiao Hu
nickte, er hatte verstanden und versprach, sich die Sache durch den Kopf gehen zu lassen.
Auf dem Weg zurück ins Büro war er noch unruhiger als zuvor. Er rief seine Sekretärin an, lieà sich für eine belanglose Sitzung um 15 Uhr mit einem unerwarteten Termin entschuldigen und ging die Uferpromenade hinunter, um bei Starbucks noch einen Espresso zu trinken. Die Luft war schlechter als am Tag zuvor, er hustete heftig und war froh, als er das klimatisierte Café erreichte. Eine Arbeitsstelle in seiner Abteilung, eine verbilligte Wohnung. Beides stellte Xiao Hu vor keine groÃen Probleme, sie suchten ohnehin ständig neue, junge Anwälte. Wäre es verwerflich, wenn er die junge Frau aus Hunan nehmen würde? Ein gutes Geschäft, ohne Zweifel, trotzdem bedrückte es ihn. Es war ein weiterer Schritt in eine Richtung, in die er nicht gehen wollte. In den Ohren vieler Funktionäre mochte es naiv, unehrlich oder weltfremd klingen, aber er war nicht Mitglied der Kommunistischen Partei Chinas geworden, um reich zu werden, auch wenn er gegen den Wohlstand, zu dem er gekommen war, nichts einzuwenden hatte.
Er war glücklich und stolz gewesen, als sie ihn während des Studiums fragten, ob er sich ihnen nicht anschlieÃen wolle. Was für eine Auszeichnung. Von den einhundertvierundsechzig Jurastudenten seines Jahrgangs fragten sie drei. Drei! Die KP Chinas war ja kein Sportverein, in den jeder nach Belieben eintreten oder wieder austreten konnte. Für die Partei waren die Besten gerade gut genug, in ihr sammelte sich die Elite des Landes. Er zögerte keinen Augenblick, auch wenn er bei seinen Eltern gewisse Vorbehalte spürte. Erst viel später, aus den Kaderakten seines Vaters, erfuhr er, woher sie stammten. Damals ignorierte er sie einfach, stellte seinen Antrag, lernte bis in die Nacht, war in der Bibliothek
morgens einer der Ersten und abends einer der Letzten, um sein Studium mit den bestmöglichen Noten abzuschlieÃen. Er wollte der Partei Ehre machen.
Die obligatorische Probezeit bestand er problemlos, die Aufnahmezeremonie war kurz und schlicht, das rote Parteibuch schlug er noch am selben Abend in durchsichtiges Plastik ein. Er bekam als Jurist eine unbedeutende Stelle in der Stadtverwaltung Shanghais zugewiesen, nach sechs Monaten wurde er befördert. Xiao Hu vermutete, dass es jemanden gab, der ein Auge auf ihn hatte und ihn förderte, ohne sich jedoch zu erkennen zu geben. Von da an ging es schnell aufwärts. Fortbildungen, Tagungen, Seminare. Die Lehren Maos. Die von Deng Xiaoping, die von Jiang Zemin. Die Rolle der KP in den Medien, der Justiz. Es war ihm bisher nicht in den Sinn gekommen, sie ernsthaft in Frage zu stellen. Dafür war die Politik in den vergangenen dreiÃig Jahren zu erfolgreich gewesen. Sicher, es gab immer wieder Fälle, in denen er anderer Meinung war, als es die offizielle Linie verlangte, aber es handelte sich niemals um etwas Grundsätzliches. Er sah korrupte Parteikader, gegen die er härter vorgehen würde. Er sah die Kluft zwischen Armut und Reichtum gröÃer werden, aber war dies das Versagen der Partei? Sein Freund, der Neurologe Zhou, behauptete, wer jetzt nicht reich werde, sei selber schuld. Wer es jetzt nicht schaffe, würde es nie schaffen. Nach der Kulturrevolution habe das ganze Land praktisch bei null angefangen, und wer nicht eine der vielen Chancen, die sich einem fast täglich boten, nutzen konnte, war einfach zu dumm. Jeder hatte die Wahl.
Xiao Hu trank einen zweiten Espresso. Er dachte an Yin-Yin, und in ihm wuchsen Zweifel. Er hatte ihre Wut und Enttäuschung bei ihrem letzten Treffen verstanden. Er teilte sie. Was immer seine kleine Schwester in ihrem Bericht im Internet
geschrieben haben mochte, wen sie auch angeklagt, was sie auch gefordert hatte, es rechtfertigte nicht, sie einfach mitzunehmen und vermutlich langen, quälenden Verhören
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