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Drachenspiele - Roman

Titel: Drachenspiele - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blessing <Deutschland>
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immer heftiger, bis selbst der Kopf schmerzte und er vom Rad steigen musste. Achtzehn Minuten hatte er geschafft, lächerlich, gerade einmal die Hälfte des Alpen-Programms.
    Xiao Hu duschte, aß ein aufgewärmtes Croissant und machte sich auf den Weg ins Büro. Für 10 Uhr stand eine Sitzung mit den Abteilungsleitern in seinem Kalender, um 13 Uhr war er mit einem Parteikollegen aus der Provinz Hunan zum Mittagessen verabredet.
    Um kurz vor zwölf rief Weidenfeller an.
    Xiao Hu wusste nicht, wann er das letzte Mal einen solchen Schrecken empfunden hatte. Als kleines Kind vielleicht. Er war einmal, als er noch nicht schwimmen konnte, in einen Teich gefallen und für mehrere endlose Sekunden untergegangen, bis ihn sein Vater mit einem kräftigen Griff aus dem Wasser zog. Die Angst, die ihn überkommen hatte, während er nach Luft schnappte und sich sein Mund nur mit Wasser füllte. Die Panik, in der er mit den Armen ruderte, irgendwo nach Halt suchend, einem Strauch, einem Brett, einer Hand. So ähnlich fühlte er sich jetzt. Er spürte einen Stich im Magen, einen Schmerz, der sich sogleich im ganzen Körper ausbreitete. Er ahnte, dass etwas Schreckliches geschehen war, dass Yin-Yin mehr als nur eine Dummheit begangen hatte, dass es kein Zurück gab und sie immer tiefer sanken. Die
Konsequenzen waren unabsehbar, und diesmal gab es keine Hand, die sie herausziehen würde. Einen Augenblick lang hatte er das Gefühl, als verliere er die Kontrolle über sein Leben.
    Er versuchte sich nichts anmerken zu lassen, beruhigte Weidenfeller, vertröstete ihn auf den Nachmittag. Ein paar Telefonate, und er würde wissen, wo Yin-Yin steckte. Er rief einen guten Bekannten im Büro des Bürgermeisters an, dem er kürzlich eine lukrative Lebensversicherung zu Sonderkonditionen verschafft hatte, und fragte ihn, ob sich seine Schwester, Wu Yin-Yin, geboren am 19. 11. 1978 in Panzihua, Sichuan, in Polizeigewahrsam befände.
    Der Mann rief zehn Minuten später zurück und verneinte.
    Das Handy erinnerte ihn mit monotonem Piepen an seinen Termin. Yin-Yin musste warten, das Essen war zu wichtig, er konnte es nicht kurzfristig absagen.
    Xiao Hu hatte in einem kleinen Restaurant am Ufer des Huangpu einen Tisch direkt am Fenster reserviert. Der Funktionär aus Hunan war in seinem Alter, ein angenehmer, sehr ehrgeiziger und aufstrebender Bezirkssekretär, den er im vergangenen Jahr auf einer Tagung in Beijing kennen gelernt hatte. Seitdem war der Mann mehrmals in Shanghai gewesen, sie hatten unterhaltsame Abende in Restaurants und Karaokebars verbracht. Beim letzten Besuch hatte er ihm den Kauf eines brachliegenden Grundstücks in einem Vorort der Provinzhauptstadt Changsha angeboten, das im kommenden Jahr zu Bauland deklariert werden würde, vom Bezirk bereits beschlossen, aber noch nicht öffentlich verkündet. Der Wert würde über Nacht um das Zwanzig- oder Dreißigfache steigen, ein absolut sicheres Geschäft. Doch Xiao Hu zögerte. Der Funktionär erwartete selbstverständlich eine Gegenleistung, hatte jedoch noch keine Andeutung gemacht, in welcher
Form die zu erbringen wäre. Sollte Xiao Hu sich nicht revanchieren können, stünde er in dessen Schuld, und er war fest entschlossen, sich nicht in derartige Abhängigkeiten zu begeben, egal, wie verlockend die Gelegenheiten sein mochten. Er musste entweder einen diplomatischen Weg finden, das Angebot abzulehnen, oder den Parteisekretär so lange vertrösten, bis er andeuten würde, was er von ihm erwartete. Aber selbst dann wäre ihm bei dem Handel nicht wohl. Bisher hatte er es, von Kleinigkeiten abgesehen, vermeiden können, sich in das parteiinterne, engmaschige Geflecht aus Gefälligkeiten, Geschenken und Gegen-Geschenken, aus Bestechungen und Abhängigkeiten, geheimen Absprachen und Verpflichtungen, das über dem ganzen Land lag, zu verstricken. Es war nicht unproblematisch: Schlüge er die Offerte rundweg aus, würde sich das herumsprechen und unter den meisten Kadern Misstrauen erregen. Niemand konnte es sich leisten, in der Partei zum Außenseiter zu werden. Der Nagel, der herausragt, wird reingeschlagen, lautete ein Sprichwort, von dessen Richtigkeit Xiao Hu überzeugt war.
    Das Essen verlief so, wie er es vorausgesehen hatte. Sie plauderten angeregt über die steigenden Aktienkurse, über boomende Immobilienpreise in Shanghai, Yin Maos Chancen, in dieser Saison

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